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Bundesstaatsanwalt im Anmarsch

Von Martin Tschiderer und Karl Ettinger

Politik

Die ÖVP will einen weisungsfreien Bundesstaatsanwalt schaffen. Bisher hatte sie die Forderung von Opposition und Grünen abgelehnt. Für Justizvertreter ist die Art der Bestellung für tatsächliche Unabhängigkeit entscheidend.


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Mit einem neu geschaffenen Bundesstaatsanwalt dürfte es ernst werden. Die langjährige Forderung von SPÖ, Neos und des grünen Koalitionspartners nach einer unabhängigen Weisungsspitze in der Justiz war von der ÖVP bislang abgelehnt worden. Am Montag preschte der türkise Klubchef August Wöginger aber vor und forderte selbst die Einführung einer solchen Einrichtung. Wird der Plan umgesetzt, würde künftig nicht mehr das Justizministerium an der Spitze der justiziellen Weisungskette stehen - Österreich ist eines der wenigen europäischen Länder, in denen das aktuell noch so ist -, sondern ein unabhängiger Staatsanwalt.

Anlass für den ÖVP-Vorstoß sind offenbar die Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) in der Causa Novomatic, die am Donnerstag auch zu einer Hausdurchsuchung bei Blümel geführt hatten. Wöginger führte in seinem Vorstoß die Causa-Blümel zwar nicht direkt an, dafür aber mehrere Fälle, um die es zuletzt Schlagzeilen um die WKStA gegeben hatte: die umstrittene Hausdurchsuchung im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), die Anzeige gegen eine Journalistin der "Presse", oder die Langzeit-Scharmützel zwischen WKStA und Oberstaatsanwaltschaft.

Staatsanwälte wollen Bestellung über Bundespräsidenten

Laut Wöginger soll eine weisungsfreie, von politischem Einfluss losgelöste oberste Staatsanwaltschaft entstehen. Als Vorbild dient die Einrichtung des Generalbundesanwalts, wie es ihn etwa in Deutschland und der Schweiz gibt. Ziel sei eine doppelte Kontrolle der Staatsanwaltschaften, einerseits durch Richter, andererseits durch das Parlament. Wie genau die parlamentarische Kontrolle ausgestaltet sein soll, dafür gibt es offenbar noch keine konkreten Pläne. "Es gibt Möglichkeiten wie zum Beispiel geheime Unterausschüsse des Innenausschusses", heißt es aus dem ÖVP-Parlamentsklub zur "Wiener Zeitung". Man wolle aber den Diskussionen nicht vorgreifen, die man mit Richtern, Rechtsanwälten, Staatsanwälten und Parlament plane.

Die Grünen verbuchen den Vorstoß ihres Koalitionspartners indessen für sich. Die ÖVP lenke auf Druck ihrer Partei ein und wolle nun auch eine entpolitisierte oberste Staatsanwaltschaft, "wie von uns seit 20 Jahren gefordert", ließ die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer wissen. In den Koalitionsverhandlungen habe sich die ÖVP noch dagegen gewehrt.

Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), der aktuell in Vertretung seiner Parteikollegin Alma Zadic auch die Justizagenden betreut, kündigte indessen an, das Justizministerium werde die Schaffung der weisungsfreien obersten Staatsanwaltschaft schnellstmöglich in Angriff nehmen.

Für die Vorsitzende der Vereinigung der Staatsanwälte, Cornelia Koller, ist entscheidend, dass ein neu geschaffener Bundesanwalt tatsächlich weisungsfrei und politisch unabhängig ist. Die Vereinigung plädiert daher für eine Bestellung über den Bundespräsidenten: eine von ihm eingesetzte Kommission mit Experten aus der Justiz solle den neuen Bundesanwalt ernennen. Für noch besser hielte Koller einen "Rat der Gerichtsbarkeit", der neben dem Bundesanwalt auch sämtliche Höchstrichter ernennt.

Mehrjährige Funktionsperiode für Matejka entscheidend

Die Präsidentin der Richtervereinigung, Sabine Matejka, verhehlt gegenüber der "Wiener Zeitung" ihre Überraschung über den ÖVP-Vorstoß nicht. Sie tritt für eine mehrjährige Funktionsperiode eines Bundesstaatsanwalts ein, die genaue Dauer lässt sie noch offen. "In der politischen Realität haben wir alle zwei, drei Jahre einen neuen Justizminister", sagt sie. Daher solle an der Spitze der Weisungskette jemand stehen, mit dem Kontinuität gesichert werde. Grundsätzlich steht die Richtervereinigung ganz hinter dem Vorhaben, versichert Matejka.

Auch die frühere OGH-Präsidentin und ehemalige Neos-Abgeordnete Irmgard Griss hatte bereits in der Vergangenheit auf die Schaffung einer unabhängigen Oberstaatsanwaltschaft gedrängt. "Entscheidend ist, dass die Weisungsspitze dann auch tatsächlich bei ihm liegt", sagt Griss zu dieser Zeitung. "Sonst wäre es eine bloße Umbenennung des Sektionschefs im Ministerium." Für eine tatsächliche Veränderung müsse die Weisungskette für die Staatsanwaltschaften als Ganzes aus dem Ministerium herausgelöst werden.

Entscheidend sei zudem, dass das Amt von einer "wirklich unabhängigen Persönlichkeit" ausgeübt werde. Griss plädiert daher für eine doppelte Kontrollinstanz bei der Besetzung: Einerseits solle der Bundesstaatsanwalt vom Parlament bestimmt werden - mittels Zweidrittelmehrheit. Eine Bestellung mit einfacher Regierungsmehrheit, hielte sie für "keine gute Idee". Das hätte zwar bei den Rechnungshof-Präsidenten "ganz gut funktioniert", ob es auch bei einer obersten Staatsanwaltschaft so wäre, sei aber fraglich.

Andererseits solle ein "Rat der Gerichtsbarkeit" aus gewählten Vertretern der Richter, Rechtsanwälte und Staatsanwälte in einem Verfahren die Staatsanwälte bestimmen, um Einfluss von (Partei-)Politik oder Ministerium zu verhindern, so Griss.

Opposition sieht Ablenkungsmanöver

Die SPÖ verwies unterdessen ähnlich wie die Grünen darauf, dass man schon seit mehr als 20 Jahren einen Bundesstaatsanwalt fordere. Justizsprecherin Selma Yildirim trat ebenfalls für einen vom Parlament gewählten Bundesstaatsanwalt ein, der für zwölf Jahre bestellt werden und nicht erneut wählbar sein solle.

"Unabhängig und ÖVP, das passt nicht zusammen", sagte FPÖ-Klubchef Herbert Kickl. Wögingers Vorstoß sei daher eher eine gefährliche Drohung als ein Schritt zu einer Justizreform. Auch die Neos reagierten spöttisch: Man sehe, was plötzlich möglich sei, "wenn die ÖVP unter Druck gerät und von den laufenden Ermittlungen gegen Finanzminister Blümel ablenken will", meinte Justizsprecher Johannes Margreiter.