Zum Hauptinhalt springen

Bundesweiter Weichei-Alarm?

Von Christian Ortner

Kommentare
Christian Ortner.

Die Kölner Gewaltexzesse gegen Frauen erlauben auch einen Blick auf das plötzlich aufgetauchte Dilemma des "postheroischen Mannes".


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Gehört es im Europa des 21. Jahrhunderts noch zu den Verpflichtungen eines Mannes, eine ihm nahestehende Frau im Fall des Falles mit Gewalt gegen einen oder auch mehrere Angreifer zu beschützen, wenn sie in der Öffentlichkeit physisch bedrängt wird?

Seit ruchbar wurde, dass bei den Gewaltexzessen der Kölner Silvesternacht gesunde, kräftige Männer hilf- und vor allem tatenlos zusahen, wie ihre Partnerinnen übel bedrängt worden sind, hat das deutschsprachige Feuilleton eine neue Figur entdeckt: den "postheroischen Mann", wie ihn die bekannte Publizistin Cora Stephan jüngst in einem Essay für die "Neue Zürcher Zeitung" nannte. "Es gibt den Beschützer nicht mehr", konstatierte zeitgleich die Hamburger "Zeit" und spottete über den Freund eines der in Köln missbrauchten Mädchen, der sich, zitternd wie Espenlaub, in einem TV-Interview darüber beklagt hatte, dass seine Freundin angegriffen worden sei, obwohl er "doch ihre Hand gehalten" habe.

Weichei-Alarm im Bundesgebiet!

Tatsächlich machen die Ereignisse der Silvesternacht plötzlich sichtbar, wie sehr sich die Rolle, aber auch das Selbstverständnis des Mannes in den europäischen Komfortzonen innerhalb einiger Jahrzehnte verändert hat. Eine Frau zu beschützen - notfalls auch mit Gewalt -, das wird von diesem Mann nicht mehr erwartet, und das sieht er auch selbst so, das gehört vor allem in den gebildeteren, aufgeklärteren Milieus nicht mehr als Fixpunkt in sein Pflichtenheft.

Man kann das ja durchaus als kulturellen Fortschritt verstehen. "Der postheroische Mann kann mit ‚Ehre‘ wenig anfangen, und auf die Idee, Frauen als schutzbedürftig anzusehen, kommt er schon lange nicht mehr. Sisters are doing it for themselves", diagnostiziert Cora Stephan. Und: "Ja, die Männer in Westeuropa haben sich in den letzten Jahren als überaus lernfähig erwiesen. Die Jüngeren sind die friedfertige Generation, kennen keinen Krieg und selten Gewalt, haben sich als Einzelkind gegen konkurrierende Geschwister nicht durchsetzen müssen, leben geborgen im Hotel Mama. Eigentlich ist es unfair, sie dafür als Weicheier zu beschimpfen."

Eh. Aber: Für jeden halbwegs erwachsenen Mann im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Kräfte wird es trotzdem eine irgendwie ziemlich unbefriedigende Vorstellung sein, im Fall des Falles einfach dabei zuzusehen, wie seine Gefährtin von einem Dutzend fremder Männer eingekesselt und dann sexuell bedrängt wird oder gar noch Schlimmeres erdulden muss. (Umso mehr, wenn das in unserem Kulturkreis übliche Outsourcing dieses Problems an die Polizei nicht funktioniert, weil die, aus welchem Grund auch immer, ihren Pflichten nicht oder nicht schnell genug nachkommen kann.)

Genau das aber wird im Großen und Ganzen vom "postheroischen Mann" erwartet. "Beschützen" erscheint als Anmaßung gegen die Gleichberechtigung, ist aus der Zeit gefallen und impliziert eine unangebrachte Selbstüberhöhung des Mannes. Sollte es wider Erwarten Frauen geben, die das bedauerlich finden, kann man ihnen leider nur raten, bei der nächsten Reinkarnation darauf zu achten, vor jener Zeit auf die Welt zu kommen, die den "postheroischen Mann" geschaffen hat.