Für manche haben Landkarten mehr als nur geographische Bedeutung - das verbindet einige Politiker im Kaukasus und auf dem Balkan.
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Die dicken roten Striche markieren Grenzen, Gebirge heben sich durch ihre Braunschattierungen ab, und die Flüsse ziehen sich als blaue Fäden quer durch: Für manche sind Landkarten nicht viel mehr als farbige Blätter, die die Welt in Gegenden unterteilen. Für andere aber geht ihre Bedeutung über das Geographische weit hinaus. Historische Landkarten etwa, auf denen statt der Nationalstaaten Reiche eingezeichnet sind, können Verklärung auslösen ob der Vorstellung, dass einst eine Reise vom Schwarzen Meer bis in den Norden Europas möglich war, ohne dass an einem Grenzbalken der Pass vorzuweisen wäre. Bei Monarchisten können sie für Wehmut ob des zerfallenen Imperiums sorgen. Und sie können ein Zeichen dafür sein, dass sich jemand mit den politischen Gegebenheiten nicht abfinden will.
So etwas ist beispielsweise im Büro des armenischen Oppositionspolitikers Giro Manoyan, im Zentrum von Eriwan, zu finden. Manoyan ist ein hoher Funktionär der Armenischen Revolutionären Vereinigung (ARF), die als sozialistische Partei gegründet wurde und nationalistisch gesinnt ist. Er ließ sich gerne vor der Landkarte fotografieren, die an der Wand hinter seinem Schreibtisch hing. Darauf sprengt Armenien seine heutigen Grenzen. Das Land zieht sich bis in den Iran hinein und vor allem weit in die benachbarte Türkei. Vor hundert Jahren noch war es altes Siedlungsgebiet der Armenier, bevor hunderttausende von ihnen vertrieben und ermordet worden sind. Dass Ankara die Ereignisse als Völkermord anerkennt, ist eine der Forderungen der ARF.
In einer Hauptstadt mehr als 2000 Kilometer weiter nordwestlich, ebenfalls in einem Politikerbüro, hing eine andere Landkarte. Und auch sie hatte eine politische Bedeutung. Davor saß Goran Bogdanovic, der Minister für Kosovo und Metochien. Das ist die offizielle serbische Bezeichnung für die ehemalige südserbische Provinz, deren Unabhängigkeit Belgrad nicht anerkennt. Dementsprechend sah die Karte in Bogdanovics Belgrader Amtsräumen aus. Sie verströmte einen Hauch von Großserbien; der Kosovo war ein selbstverständlicher Teil des Landes.
Doch das Ministerium soll es schon bald nicht mehr geben, berichteten serbische Medien. Die Regierung in Belgrad hat gewechselt, und die Demokratische Partei, der Bogdanovic angehört, hat erheblich an Macht eingebüßt. Unter dem designierten sozialistischen Premier Ivica Dacic soll das Kosovo-Ministerium abgeschafft werden. Was aber keineswegs bedeutet, dass Serbien seinen offiziellen Standpunkt zum Nachbarn ändert. Vielmehr soll sich ein eigenes Regierungsamt mit dem Kosovo befassen.
Dessen Werdegang als eigener Staat wird in Armenien wiederum mit Interesse verfolgt. Vor allem in einem Teil des Landes, den das benachbarte Aserbaidschan als sein eigenes Territorium betrachtet. Nagorno Karabach, Berg Karabach ist ein selbsternannter Staat, den so gut wie kein Land akzeptiert. Die Präsidentenwahl, die dort gerade stattgefunden hat, gilt als illegal. Ihre Hoffnungen auf Anerkennung wollen die Regierenden in Stepanakert dennoch nicht aufgeben - und verweisen auf das Beispiel Kosovo.