Im Schaugarten am Karlsplatz wird zu Obst- und Gemüseanbau in der Stadt geforscht.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Meist sind es Touristen, die durch den Rosa-Mayreder-Park, rund um die Kunsthalle am Karlsplatz, spazieren. Seit kurzem entdecken aber auch die Wiener zunehmend das Fleckchen Grün mitten in der Innenstadt. Dort, wo vorher nämlich nur Wiese war, gedeiht seit mehr als einem Jahr Obst, Gemüse und Getreide in "Karls Garten". Kräutertürme laden zum Riechen und Schmecken ein, Erdäpfel wachsen aus Jutesäcken, Zuckerhut, Mangold und gelbe Karotten sprießen im Hochbeet. Junge Rebstöcke tragen erste Trauben, Maisstauden und Obstbäumchen grenzen den Garten zur Straße ab. Wer rasten will, kann sich auf begrünten Palettenmöbeln im Schatten der Ahornbäume ausruhen oder zahme Stadtbienen bei der Arbeit beobachten.
"Karls Garten" wurde im April 2014 von einer Gruppe engagierter Personen als Schau- und Forschungsgarten ins Leben gerufen. Die Raumplaner, Agrarwissenschafter und Landschaftsplaner des gleichnamigen Vereins möchten damit urbane Landwirtschaft und städtische Nahrungsmittelproduktion fördern und erforschen. "Obst und Gemüse können nicht nur auf dem Land wachsen. Auch in der Stadt finden sich vielfältige Möglichkeiten, eine kleinteilige Landwirtschaft zu betreiben", sagt Mitgründer und Projektleiter Sebastian Zeddel. "Am Karlsplatz haben wir dafür ein spannendes Experimentierfeld gefunden."
Die 2000 Quadratmeter große Fläche wurde dem Verein von der Stadt Wien für zunächst fünf Jahre zur Verfügung gestellt. Im ersten Jahr wurden 50 Obst-, Gemüse- und Getreidesorten biologisch angebaut, von Apfel bis Zwetschke, ohne Dünge- und Spritzmittel. In Kooperation mit Universitäten werden Substrate, Gemüsesorten und Anbaumethoden getestet, darunter auch Unkonventionelles, wie Pilze, die auf Baumstämmen oder im Kaffeesatz kultiviert werden, oder Paradeiser, die im Liegen auf Stroh wachsen. Auch Erfahrungen aus dem Urban-Gardening-Projekt "Salat Piraten", das Sebastian Zeddel und Co-Projektleiterin Simone Rongitsch 2013 in der Kirchengasse mitgründeten, flossen mit ein, sowie Planungs- und Gestaltungsideen von städtischen Gartenprojekten auf der ganzen Welt.
Der Großteil der bisherigen Ernte, darunter "Wiedener Stadthonig" aus zwei Bienenstöcken, diente Untersuchungen zum "urbanen Garteln", wurde verarbeitet und beim Herbstfest geteilt. Aber ist der Verzehr der Produkte, die direkt neben der Straße wachsen, auch unbedenklich? "Der Verkehrsknotenpunkt am Karlsplatz bietet sich besonders an, um festzustellen, wie sich die städtische Umgebung, Feinstaub und Schwermetalle auf die Pflanzen auswirken, welches Substrat und welche Sorten sich für die Stadt eignen", sagt Zeddel. Das gute Ergebnis: "Nach dem ersten Jahr zeigten sich keine messbaren Belastungen."
Rund um die Uhr geöffnet
"Karls Garten" ist rund um die Uhr geöffnet, ganz bewusst wurde er als offener Raum konzipiert. Der Verein sieht sich neben der Forschungsarbeit auch als Anlaufstelle für Fragen zu Urban Gardening und Farming. "Selbst anzubauen ist bei uns zwar nicht möglich, weil der Garten nicht als Gemeinschaftsgarten angelegt ist, dafür können sich Besucher jede Menge Anregungen holen, um in Eigeninitiative aktiv zu werden", sagt Zeddel. Informationen gibt es auf Schautafeln, via Audio Guide, auf Facebook und auf der Homepage. Bei Gartenveranstaltungen wird gezeigt, was man aus der Ernte alles machen kann, und für Schulklassen gibt es Exkursionsprogramme zum Thema Gartenarbeit, Obst- und Gemüseanbau, urbane Landwirtschaft oder Bienenzucht.
Die Ideen darf man gerne mit nach Hause nehmen - die Produkte aus dem Garten bitte nicht, betont Zeddel: "Die Mengen, die wir ernten, sind noch klein und für den Forschungsbedarf gedacht. Von den Beerensträuchern darf aber gerne ein wenig genascht werden." "Obst- und Gemüsediebe" gab es bisher auch nur vereinzelt, freut sich der Raumplaner. Auch Vandalismus gebe es kaum, aber: "Ein Problem ist der Mist im Garten - wir entsorgen täglich zwei Mülltonnen voll auf eigene Kosten." Und auch Hundebesitzer und alkoholisierte Personen seien eine Herausforderung.
Jeden Montag ist Arbeitstag in "Karls Garten". Da wird gesät, gejätet und geerntet. Tatkräftige Unterstützung erhalten die 13 Vereinsmitglieder - darunter der Pächter des Kunsthallen-Restaurants, Andreas Wiesmüller - von Gärtner- und Tischlerlehrlingen der überbetrieblichen Ausbildungsstätte Weidinger und Partner. Auch freiwillige Helfer sind willkommen: "Wer gerne im Garten arbeitet oder eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema urbanes Gärtnern schreiben möchte, kann uns kontaktieren", sagt Zeddel.
Neben Universitäten wie Boku und TU Wien kooperieren auch Partner aus der heimischen Wirtschaft und Landwirtschaft mit "Karls Garten". Finanziert wird das Projekt vor allem über Sponsoren, die zum Beispiel Hochbeete, Saatgut oder natürliche Anbauerde zur Verfügung stellen.
Vielfalt statt Einfalt
Jedes Arbeitsjahr steht in "Karls Garten" zudem unter einem besonderen Schwerpunkt. 2015 liegt dieser auf alten Sorten und Raritäten. Viele der Samen und Pflanzen stammen zum Beispiel von der "Arche Noah", die sich für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt einsetzt. "So haben wir etwa zehn Kartoffelsorten wie Rote Emma oder Rosa Zapfen angebaut, alte Paradeisersorten oder zehn verschiedenfarbige Maissorten, aus denen man buntes Popcorn machen kann", sagt Sebastian Zeddel.
Er hofft, dass Wien in Zukunft offener wird in Richtung Nutzgarten statt Ziergarten und urbane Landwirtschaft hier bald selbstverständlich ist. In nächster Zeit möchte der Verein den Bekanntheitsgrad von "Karls Garten" in der Wiener Bevölkerung deshalb noch steigern. "Wir möchten den Wienerinnen und Wienern die andere Seite des, leider verrufenen, Karlsplatzes vorstellen und zeigen, was alles möglich ist, um in der Stadt für den Heimbedarf anzubauen." Ideen für urbane gärtnerische Flächengestaltung hat der Raumplaner genug - und denkt dabei auch hoch hinaus, zu den Dächern der Stadt. Aber das ist eine andere Gartengeschichte.
Veranstaltungstipp:
"Markt der Erde" in "Karls Garten"
am 10. September.
Bei dem Abendmarkt können von 16 bis 21 Uhr Schmankerln und Naturprodukte aus NÖ und dem Burgenland erstanden werden.