Unsere Freiheit setzt voraus, dass die Demokratie Grenzen kennt. Das ist der ureigenste Zweck der Idee politischer Parteien.
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Niemand mag politische Parteien. Mittlerweile nicht einmal die Parteien selbst. Das ist die bemerkenswerte Bilanz einer vier Jahrzehnte andauernden Selbstdemontage, welche die Parteien mit der tatkräftigen Hilfe der veröffentlichten Meinung vorführen. So gesehen ist die Fluchtbewegung aus dieser Marke eine logische Konsequenz.
Die sehr viel interessanteren Fragen lauten: Warum widert uns an, was wir offensichtlich brauchen, damit unser System von Demokratie zumindest halbwegs funktioniert? Beziehungsweise: Warum ist es uns bis heute nirgendwo gelungen, auch nur ansatzweise einen gleichwertigen Ersatz zu entwickeln, der an die Stelle der Parteien zu treten imstande wäre?
Um etwaige Missverständnisse auszuräumen: Nirgendwo steht geschrieben, dass Parteien so aussehen müssen, wie SPÖ und ÖVP seit Jahrzehnten aussehen; niemand verlangt, dass Parteien ihre Mitglieder zwingend entmündigen und Entscheidungen von einer kleinen Zahl ausgewählter Funktionäre hinter verschlossenen Türen getroffen werden; und schon gar kein Mensch braucht Parteien, die nur den Zweck haben, sich selbst beziehungsweise einer mehr oder weniger großen Clique die Macht zu sichern oder sie für diese zu erobern.
Die Idee einer politischen Partei ist etwas völlig anderes, und das Unvermögen, zwischen der Idee und ihren irdischen Wiedergängern zu unterscheiden, zeugt von einem gewissen intellektuellen Armutszeugnis. So viel steht außer Zweifel: Österreichs real existierende Parteien sind weit davon entfernt, auch nur annähernd ideale Verkörperungen des Konzepts einer politischen Partei zu sein. Ganz abgesehen von dem Umstand, dass es prinzipiell unendlich viele Möglichkeiten gibt, dieses Konzept in die Realität umzusetzen. Ziemlich sicher weist jede einzelne dieser Variationen gravierende Defizite auf. Und nicht wenige sind wahrscheinlich bestenfalls noch Karikaturen all dessen, was eine Partei für die Organisation einer demokratischen Gesellschaft leisten soll und müsste.
Und trotzdem erfüllen die noch so unvollkommenen Parteien der politischen Mitte (ob links- oder rechtslastig ist hier für einmal völlig irrelevant) eine - jedenfalls aus heutiger Sicht unersetzliche Funktion: Sie sind nämlich die Träger der Grundüberzeugung, dass jede Mehrheit auch Grenzen hat, dass Freiheit, wie wir sie leben, nur dort Bestand haben kann, wo die Idee der Demokratie, das heißt, die Herrschaft der Mehrheit, freiwillig und großzügig sich selbst in die Schranken weist. Diese Großzügigkeit gegenüber dem Andersdenkenden ist das zentrale Kennzeichen der bürgerlichen, das heißt der politischen Mitte.
An dieser Stelle daher der Rat des deutschen Staatsrechtlers Christoph Möllers: "Wer die Ordnung so, wie sie ist, für schützenswert hält, wird sich ihren politischen Formen anvertrauen müssen - und das bedeutet vor allem anderen, in politische Parteien einzutreten und einen relevanten Teil seiner Zeit in diesen zu verbringen. Wer Demokratie und Freiheit für Lebensformen hält, wird sie nicht an das System delegieren und sich über dieses beklagen dürfen."