Brasilia - Das Image des ewigen Verlierers will er im vierten Anlauf endlich loswerden - und seine Chancen dafür stehen so gut wie nie zuvor: Nach drei erfolglosen Kandidaturen in den Jahren 1989, 1994 und 1998 steht Luiz Inacio "Lula" da Silva auf dem Sprung an die Staatsspitze Brasiliens.
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Der bärtige, untersetzte Mann mit der heiseren Stimme entspricht nicht dem gängigen Bild eines Volkstribuns; seinem Portugiesisch hört man noch immer seine Herkunft aus einfachen Verhältnissen an. All das, was Lula heute in den Augen seiner Anhänger zu einem charismatischen Führer macht, hat sich der Mann aus dem Volk erkämpfen müssen. Das jüngste von acht Kindern eines armen Bauern musste früh lernen, sich durchzusetzen: Als Siebenjähriger floh Da Silva mit seiner Familie vor Dürre und Hunger aus dem nordöstlichen Bundesstaat Pernambuco in die Millionenmetropole Sao Paulo. Mit elf, nach nur drei Schuljahren, nahm er als Straßenverkäufer bereits das harte Arbeitsleben auf. 1963 wurde er Dreher in der Metallindustrie und machte sich bald als Kritiker sozialer Ungleichheit einen Namen.
1975 wurde Lula zum Chef der Metallarbeitergewerkschaft gewählt. Wegen einer von ihm angeführten Streikwelle in den Jahren 1978 bis 1980 landete er unter der Militärdiktatur zwischenzeitlich im Gefängnis. 1981 gehörte er zu den Mitbegründern der Arbeiterpartei, deren Banner noch heute ein roter Stern ziert.
Nach der Niederlage bei der Präsidentschaftswahl 1989 gegen Fernando Collor de Mello ging Lula auf einen gemäßigteren Kurs: Er tauschte den Blaumann gegen maßgeschneiderte Anzüge und begann, Allianzen mit Unternehmern zu schmieden. Dennoch gaben die Brasilianer sowohl 1994 als auch 1998 dem Sozialdemokraten Cardoso den Vorzug. Letzterer stoppte vor allem in seiner ersten Amtszeit mit einer drastischen Sparpolitik die Hyperinflation und machte das Land vorübergehend zum wirtschaftlichen Musterschüler Lateinamerikas.
Lula hingegen spaltet nach wie vor die Gemüter: Während ihn der US-Bürgerrechtler Jesse Jackson unlängst mit Nelson Mandela und Martin Luther King verglich, werfen ihm seine Gegner mangelnde Bildung und fehlende Erfahrung vor; schließlich hatte Da Silva noch nie ein politisches Amt inne. Die Wirtschaftskrise in Brasilien könnte nun das Pendel zu seinen Gunsten ausschlagen lassen: Währungsverfall, eine immer höhere Verschuldung und starke Preiserhöhungen für Grundnahrungsmittel steigern die Angst vor dem ökonomischen Niedergang; hinzu kommt eine beängstigende Zunahme der Kriminalität.
Zum Auftakt des Wahlkampfs wetterte Lula gegen die Massenarbeitslosigkeit und das "Verschleudern privatisierter Unternehmen an das Ausland" und traf damit den wunden Punkt zahlreicher Investoren, die befürchteten, Lula könnte mit Cardosos Sparkurs brechen. Doch sein früheres Image als linksradikaler Bankenschreck schüttelte Lula in den vergangenen Monaten ab und fand sogar versöhnliche Töne für den Internationalen Währungsfonds (IWF) und den Brasilien auferlegten Bedingungen. Ganz kann der frühere Metallarbeiter seine politische Sozialisierung jedoch nicht verbergen: Falls er die Wahl gewinne, werde er sich "nur meinem Volk, nicht dem IWF verantworten", bekannte er in einem Zeitungsinterview.