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Das Ausschalten von Stressoren kann Unternehmen ein immenses Einsparungspotenzial bringen
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Am Beginn steht der innere Druck, besser als die anderen zu sein. Der Antrieb, der Manager ganz nach oben bringt, der Mütter die Spagatwanderung zwischen Beruf und Familie meistern lässt, der Pflegende zur Hilfeleistung motiviert. Doch am Ende einer "Immer-alles-geben-wollen-Spirale" kann es zur völligen Erschöpfung kommen - zum Burnout.
Ob Ältere oder Jüngere, Ehefrauen oder Alleinerzieherinnen, Arbeitnehmer oder Joblose, Führungskräfte oder Lehrlinge, Lehrer oder Schüler. Das individuelle Risiko auszubrennen hängt von den beruflichen und privaten Rahmenbedingungen jedes Einzelnen ab. Denn Burnout ist keine Folge einer einmaligen Belastung, sondern eine Reaktion auf lang andauernde, wiederholte Belastungssituationen. Das Resultat sind Erschöpfung, Zynismus und geminderte berufliche Leistungsfähigkeit.
Die "Elias-Müdigkeit"
Wahrscheinlich ist, dass Burnout die Menschen schon seit Jahrtausenden begleitet. Geschafft vom Wunderwirken im Namen des Herrn flüchtet der Prophet Elias in die Wildnis und verfällt in Verzweiflung, in tiefen Schlaf "und bat, dass seine Seele stürbe" (1. Buch der Könige). So hat schon das Alte Testament präzise Beschreibungen des Erschöpfungssyndroms geliefert, das als "Elias-Müdigkeit" Verbreitung fand.
Populär machte den Begriff im Jahr 1974 der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker Herbert J. Freudenberger. Er hatte in New York beobachtet, dass ehrenamtliche Mitarbeiter von Hilfsorganisationen nach Phasen der Überlastung einfach nicht mehr konnten - sowohl psychisch als auch körperlich. Im Laufe der Jahre wurde dieses Phänomen auf immer mehr Berufsgruppen und bis hinein ins Privatleben ausgeweitet.
Schleichender Prozess
Der Prozess beginnt oft schleichend. Nach und nach treten Warnzeichen auf, die unbeachtet im Zusammenbruch münden können. Den Verlauf hat Freudenberger in zwölf Stadien beschrieben (siehe Grafik). Die unterschiedlichen Symptome und Verhaltensweisen können aber auch in anderer Reihenfolge zutage treten. Je früher man Unterstützung erhält, desto leichter kann man aus diesem Zyklus wieder aussteigen.

Doch viele Menschen sind sich der persönlichen Gefährdung gar nicht bewusst. Oft sind es dann die Partner oder Arbeitskollegen, die erste Hinweise liefern, erklärt die Burnout-Lotsin Andrea Schrenk. Ihre Arbeit ist es, Präventivmaßnahmen zu setzen, Burnout-Frühsignale zu erkennen und auch Wege aus der Krise aufzuzeigen. Als geprüftes Mitglied des europaweiten Netzwerks der Burnout-Helpcenter erstellt Schrenk für Einzelpersonen oder auch Unternehmen Gutachten. "Zuerst analysieren wir das persönliche Risiko anhand eines umfassenden Interviews, dann bieten wir konkrete Hilfestellung und arbeiten gemeinsam mit dem Betroffenen einen Maßnahmenplan aus", beschreibt die Expertin die Arbeit der Burnout-Lotsen.
Die Experten werden oft auch am Ort des Geschehens tätig - in den Unternehmen. Für Firmen sei es "zunehmend wichtiger, ihren Burnout-Präventionsindex (BPI) feststellen zu lassen, Risikoquellen zu entfernen und Prävention zu betreiben", so Schrenk. "In den Industrieländern nutzen immer mehr Unternehmen ihren hohen BPI als Wettbewerbsvorteil."
Volkswirtschaftlich gesehen ist die Problematik nicht zu unterschätzen. Klar ist, dass Burnout-Gefährdete häufiger krank sind. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: So liegt die Zahl der Krankenstandstage bei 43 im Vergleich zu durchschnittlich 12 Tagen. 900.000 Österreicher sind von psychosozialen Erkrankungen betroffen. EU-weit sind es gar 81 Millionen Menschen mit psychischen Erkrankungen. Zwischen neun und elf Prozent sind höchst burnoutgefährdet oder schon drinnen, erklärt Franz-Karl Daublebsky von den "Business doctors", ein Unternehmen, das Betriebe berät und laufend Studien zum Thema durchführt.
10 Milliarden Euro Schaden
Es sei wichtig, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, denn der volkswirtschaftliche Schaden lag in Österreich 2012 bei mittlerweile zehn Milliarden Euro im Vergleich zu 4,8 Milliarden 2007. "Wenn wir jetzt nicht flächendeckend aufklären, dann laufen wir Gefahr, dass uns die Kosten wegspülen wie ein Tsunami", erklärt Daublebsky und rechnet vor: Ein durchschnittlich großer österreichischer Handelsbetrieb mit 7,4 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von rund 400.000 Euro könnte durch das Ausschalten von Stressoren - also stressverursachenden Faktoren - pro Jahr 20.000 Euro einsparen.
Und viele Menschen sind in ihrem Arbeitsprozess "todunglücklich und unzufrieden". Einer Studie zufolge haben 89 Prozent der Deutschen innerlich den Job gekündigt oder wollen ihn wechseln. Einen Grund dafür ortet Daublebsky in fehlender Wertschätzung - zu Hause, im öffentlichen Raum, aber auch am Arbeitsplatz. Werte wie Familie, Moral, Ethik und Ästhetik im Wirtschafts- und Privatleben seien im Abnehmen begriffen, was zu einer Zunahme von Stress führt.
Frauen "vernünftiger"
In Österreich sei man schon dabei, "sich hier Gedanken zu machen". Mit der seit Anfang 2013 in Kraft getretenen Novelle des Arbeitnehmerschutzgesetzes wird seither auf psychische Belastungen am Arbeitsplatz geachtet.
Über die Berufsgruppen verteilt scheinen Frauen nicht zuletzt aufgrund der üblichen Mehrfachbelastung mit Beruf, Familie und Haushalt mehr darunter zu leiden als Männer, "gehen damit aber vernünftiger um", so Daublebsky. Denn während Frauen früher professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, würden Männer ein Fluchtverhalten zeigen.
Zwei "magische Dreiecke" seien verantwortlich, ob jemand ent- oder belastet ist. Einerseits spannt sich der Bogen vom Arbeitsplatz über den Schlaf zum sozialen Umfeld. Andererseits lautet der Rat der beiden Experten: "Gut schlafen, gesund essen, ausreichend bewegen." Das gelte sowohl für die Prävention als auch für die Burnout-Bekämpfung.