Forscher haben die Ansteckungsgefahr durch Sars-CoV-2 in geschlossenen Räumen berechnet.
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In Innenräumen ist die Infektionsgefahr durch Krankheitserreger grundsätzlich wesentlich höher als im Freien. Man denke an Grippezeiten der vergangenen Jahre, die schniefenden Nasen und glühenden Stirnen von Kollegen, das bellende Husten des Sitznachbarn in der Straßenbahn oder das Niesen der Kassierin im Supermarkt. Doch infiziert man sich im Theater eher als im Restaurant oder im Büro oder gar in der Schule? Dieser Frage sind Wissenschafter des Hermann Rietschel-Instituts der Technischen Universität Berlin nachgegangen. In einer Studie haben sie verschiedene Situationen des Alltags verglichen und sind auf gewaltige Unterschiede gestoßen.
Aerosole werden eingeatmet
Das gesellschaftliche Leben spielt sich seit Eintreten der Corona-Pandemie heute vielfach im Freien ab. Man trifft sich mit der besten Freundin im Wald, mit dem Großvater an der Flusspromenade. Nicht alleine ob der vorherrschenden Jahreszeit würde es uns wohl eher in Innenräume ziehen. Doch das ist uns aufgrund der Maßnahmen, die aufgrund der viel gepriesenen Gefahr von Sars-CoV-2 ins Leben gerufen wurden, bis dato in vielen Bereichen verwehrt. Theater- und Restaurantbesuche sind nach wie vor nicht möglich. Denn Innenräume bergen ein höheres Risiko. Ausgeatmete Aerosole können das Virus innerhalb weniger Minuten in einem Raum verteilen - doch nicht überall ist diese Gefahr gleich groß.
Aerosole sind auch das Schlagwort der Stunde. Grundsätzlich ist für das Infektionsrisiko über solche Kleinstpartikel in geschlossenen Räumen die eingeatmete Dosis entscheidend. Dabei kommt es auf die Quellstärke, also die Emissionsrate, an, die Atemaktivität von Quelle und Empfänger, die Aerosolkonzentration innerhalb des Raumes sowie die Aufenthaltsdauer in selbigem.
R-Wert von Bedeutung
Mittels Maske beziehungsweise Mundnasenschutz (MNS) können sowohl der Aerosolausstoß als auch die eingeatmete Anzahl der Partikel reduziert werden. Atmen, Sprechen, Singen haben einen Einfluss auf die ausgestoßene Menge. Die Atemaktivität wiederum variiert auch mit der körperlichen Aktivität. Von Bedeutung sind zudem die getätigte Luftzufuhr im Raum etwa durch Lüften sowie schließlich die Länge des Aufenthaltes innerhalb der Räumlichkeit.
Die Daten von Martin Kriegel und Anne Hartmann vom Hermann Rietschel-Institut der TU Berlin wurden vorerst als Preprint veröffentlicht. Sie wurden also noch nicht von Fachkollegen überprüft und noch in keinem Fachmagazin veröffentlicht. Doch der Auswertung der Forscher zufolge scheint es keine besonders gute Idee zu sein, sich in Büro- oder Klassenräumen aufzuhalten. Hingegen seien Menschen beim Friseur oder auch im Theater einem geringeren Risiko ausgesetzt. Die Autoren gehen davon aus, dass die allgemein bekannten Hygiene-, Abstands- und Lüftungsregeln immer eingehalten werden.
Abgeleitet wird das aufgestellte Ranking von einem sogenannten situationsbedingten R-Wert. Dieser sagt aus, wie viele Personen im Durchschnitt von einem anwesenden Infizierten angesteckt werden. Ist er kleiner gleich 1 bedeutet das, dass sich in einem Raum mit einem Infizierten theoretisch maximal eine weitere Person ansteckt.
Die Wissenschafter bestimmten in ihren Berechnungen nun den Faktor zu diesem Referenz-R-Wert. Für Friseurgeschäfte liegt dieser demnach bei 0,6, im Supermarkt bei 1, im Restaurant bei 2,3, im Großraumbüro bei 8 und in der Schule bei bis zu 11,5. Die Tabelle unterscheidet allerdings auch, ob die Menschen eine Maske tragen oder nicht.
Demzufolge steckt sich im Supermarkt mit Maske maximal eine weitere Person an. Im Vergleich dazu hat das Mehrpersonenbüro mit einer um 50 Prozent reduzierten Belegung, aber ohne das Tragen einer Maske am Arbeitsplatz, einen Wert von 8. Das bedeutet, dass das Risiko in dieser Situation 8-mal höher ist als im Supermarkt, heißt es in der veröffentlichten Studie. Hingegen ist ihr zufolge ein Theater- oder Museumsbesuch mit 30 Prozent Belegung und mit Tragen einer Maske auch auf dem Sitzplatz zur halb so risikoreich wie ein Einkauf im Supermarkt.
Richtiges Tragen ein Thema
In der Untersuchung wurde übrigens der herkömmliche Mund-Nasen-Schutz berücksichtigt und nicht die nun großteils verordnete FFP2-Maske. Bei letzterer sei zwar der Schutz grundsätzlich höher, allerdings nur, wenn sie richtig getragen wird. Und das sei im Alltag nicht immer der Fall, betont der Lüftungsexperte Martin Kriegel. Da es sich mit ihnen schwerer atmen lässt, werden sie von den Tragenden immer wieder gelockert - ob Supermarkt, Friseur oder Schule. Immer wieder sind Menschen zu beobachten, die kurz ihre Masken anheben oder sie unter die Nase ziehen. Das sorgt dafür, dass wiederum mehr riskante Aerosolpartikel in der Luft herumschweben. Die ausgewiesene Schutzwirkung von 95 Prozent sei demnach Illusion. Der Experte geht von maximal 70 Prozent aus.
Dennoch zeige die Auflistung auch, dass mit gut durchdachten und konsequenten Hygienekonzepten die Öffnung zumindest einiger Einrichtungen durchaus wieder möglich sein könnte. In anderen Situationen ergebe sich wiederum der Bedarf, Kontakte noch weiter zu reduzieren, betont der Wissenschafter.