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Bürokrat auf neuer Bühne

Von Alexander Dworzak

Politik

Frank-Walter Steinmeier muss als deutscher Präsident öffentlich jenen richtigen Ton treffen, den er bisweilen vermissen ließ.


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Berlin/Wien. Angela Merkel ist es nicht, zu umstritten war der Kurs der Kanzlerin in der Flüchtlingspolitik bei den Bürgern. Finanzminister Wolfgang Schäuble, gefeiert dafür, dass er Griechenland nahegelegt hatte, zeitweise aus der Eurozone auszutreten, ist es ebenfalls nicht. Und auch Senkrechtstarter und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz ist nicht beliebtester Politiker Deutschlands. Mit großem Abstand führt der langjährige Außenminister Frank-Walter Steinmeier dieses Ranking an, 79 Prozent sind laut ARD-Deutschlandtrend mit seiner Arbeit zufrieden. Das hat Tradition: Schon frühere Außenminister wie Hans-Dietrich Genscher (FDP) und der Grüne Joschka Fischer führten das Sympathieranking an. Am Sonntag wird Steinmeier von der Bundesversammlung zum Präsidenten gewählt.

Bereits im Vorfeld der Wahl haben sich CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP auf Steinmeier als Kandidaten verständigt. Das entspricht einer überwältigenden Mehrheit von 1106 der 1260 Delegiertenstimmen in der Bundesversammlung aus Bundestagsabgeordneten und jenen der Länder. Die anderen Bewerber verkommen zu programmatischen Fingerzeigen: Für die Linkspartei tritt der Sozialwissenschafter Christoph Butterwegge an, ein Kritiker der Hartz-Reformen. Die nationalkonservativ-populistische Alternative für Deutschland (AfD) schickt den Ex-CDUler Albrecht Glaser ins Rennen und die Freien Wähler den früheren TV-Richter Alexander Hold. Einen Spaß macht sich "Die Partei" des Satirikers Martin Sonneborn. Er persifliert Donald Trumps Familienclan und möchte seinen Vater Engelbert in den Amtssitz im Berliner Schloss Bellevue hieven.

Steinmeiers Nominierung war eine Genugtuung für Noch-SPD-Chef Sigmar Gabriel. Er hatte damit seinen Kandidaten durchgebracht und gezeigt, dass er gegenüber Merkel nicht immer zweiter Sieger ist. Obwohl die konservative Union mit Abstand stärkste Kraft in der Bundesversammlung ist, kommt das neue Staatsoberhaupt nicht aus ihren Reihen. Schon mit Steinmeiers Vorgänger war Merkel alles andere als glücklich. Denn sie verhinderte Joachim Gauck 2010 zugunsten des damaligen niedersächsischen CDU-Ministerpräsidenten Christian Wulff. Ihre Erfindung trat nach diversen Affären nur eineinhalb Jahre später zurück. Gauck war danach als Nachfolger Wulffs nicht mehr zu verhindern.

Anfang als Schröders Büroleiter

Der frühere Pastor und Leiter der Behörde zur Aufarbeitung der Stasi-Verbrechen imponierte oder nervte, je nach Sichtweise, mit seiner pathosbeladenen Sprache und der Betonung von Freiheit. Eines kann man Gauck dabei nicht vorhalten: Profillosigkeit. Ein deutscher Bundespräsident verfügt realpolitisch über keinerlei Macht. Von einem "Job ohne Job-Beschreibung" spricht der grüne Außenpolitiker Omid Nouripour. Der öffentliche Auftritt ist daher sein stärkstes Instrument.

Steinmeiers Stärken liegen aber nicht vor der Kamera, sondern am Verhandlungstisch. Er ist ein Bürokrat im besten Sinn des Wortes. Sein politischer Mentor Gerhard Schröder machte den Juristen in den 1990ern zu seinem Büroleiter, danach leitete Steinmeier die niedersächsische Staatskanzlei. Nach dem SPD-Wahlsieg 1998 und dem Zustandekommen von Rot-Grün betraute Schröder Steinmeier nicht mit einem Fachministerium. Er zog stattdessen als Kanzleramtsminister die Fäden, zum Beispiel beim Reformvorhaben "Agenda 2010".

2005 wechselte Steinmeier nach Merkels Wahlsieg und der Inthronisierung von Schwarz-Rot ins Auswärtige Amt. Bis 2009 sowie von 2013 bis 2017 war er dessen Chef und verdiente sich mit der Neustrukturierung des Auswärtigen Amtes Meriten. Auch war Steinmeier maßgeblich am historischen Atomabkommen mit dem Iran 2015 beteiligt. Und er habe mit Frankreich und Polen 2014 dem damaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch einen friedlichen Abgang zugesagt, erinnert die "Zeit", und damit eine bürgerkriegsähnliche Situation entschärft.

Kritik an Nato-"Säbelrasseln"

Der Krieg in der Ukraine und die Russland-Sanktionen zeigen aber, dass es Steinmeier auch nach Jahrzehnten in der Politik nicht leicht fällt, den richtigen Ton zu treffen. Im Sommer 2016 kritisierte er Nato-Manöver in Osteuropa und warnte, "durch lautes Säbelrasseln und Kriegsgeheul die Lage weiter anzuheizen". Von rechts (CDU) bis links (Grüne) hagelte es dafür Kritik, lediglich die russlandhörige Linkspartei kritisierte Steinmeier nicht. Das traditionell ambivalente Verhältnis der deutschen Sozialdemokratie gegenüber Russland blitzte da auf.

Als Außenminister ist es oberste Priorität, nicht bilaterales Porzellan zu zerschlagen. Gleichzeitig muss der Ressortchef Interessen und demokratische Werte robust vertreten. Im Umgang mit dem türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan, der den Staat seit dem misslungenen Putschversuch nach eigenen Worten von Gegnern "säubert", hörte sich das bei Steinmeier mitunter knieweich an: Es sei zwar "kein Geheimnis", dass die Türkei "kein einfacher Partner" sei und die Bundesregierung manche Entwicklungen nach dem Putschversuch kritisch bewerte. Aber man müsse von "einer Phase der Konfrontation und der wachsenden Spannungen wieder zu einem belastbaren Verständnis gemeinsamer Sicherheit" kommen, sagte Steinmeier auf der deutschen Botschafterkonferenz im vergangenen August.

Inwieweit sich ein Präsident Steinmeier von der Tonalität des Außenministers Steinmeier unterscheidet - wie er etwa seinem Amtskollegen Donald Trump be- und entgegnen wird -, zählt zu den spannendesten Aspekten seiner Amtszeit. In Berlin unken manche, Steinmeier könnte Schloss Bellevue zu einem zweiten Auswärtigen Amt umfunktionieren, schließlich nimmt er enge Mitarbeiter mit. Andere kalmieren, dass jene Personen ihn schon über viele Jahre und Funktionen hin begleiten.

Steinmeier möchte in Zeiten weltweiter Umbrüche kein "Vereinfacher", sondern "Mutmacher" sein. Auch daheim hat sich das politische Klima geändert, und die AfD wird nach der Wahl im September in den Bundestag einziehen. Zu hoffen ist, dass Steinmeier dann auch daheim den Ton trifft und nicht an 2009 anknüpft. Damals führte er die SPD im Bundestagswahlkampf. Die Sozialdemokratie verlor mehr als 11 Prozentpunkte, mit 23 Prozent schnitt sie so schlecht wie nie zuvor oder danach ab.