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Bürokratie kann Lehrer auch schützen

Von Barbara Schuster

Politik
© fotolia/rdnzl

"Dokumentations-Wahnsinn" hat auch Gutes. Administration und Pädagogik sind nicht ohne weiteres trennbar.


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Wien. Wenn es um die Schule geht, kann eine Debatte nicht fehlen - nämlich jene, um die überbordende Bürokratie. Die "Wiener Zeitung" hat an Schulen nachgefragt, wie es tatsächlich ist. Dabei zeigte sich, dass Lehrer ein durchaus differenziertes Bild zeichnen. Teilweise schützt Bürokratie sogar vor eventuellen ungerechtfertigten Interventionen. Dennoch zeigen sich die Bildungsinstitutionen bemüht, auch an dieser Baustelle zu arbeiten. So hat der Wiener Stadtschulrat bereits zahlreiche Erlässe zurückgenommen und wird nun eine weitere Filterung vornehmen.

Stammbögen ausfüllen, Adressen und Notfallkontakte eintragen, und wer darf das Kind eigentlich abholen? Wenn der Unterricht zu Ende ist, sind das die Dinge, die Clara Veit (Name von der Redaktion geändert) beschäftigen. Die Junglehrerin an einer Privatvolksschule in der Donaustadt kämpft täglich mit den administrativen Aufgaben, die sie zu erledigen hat. Dazu kommt das Arbeiten mit dem webbasierten Wiener Schulinformationssystem Online (WiSion), einem Programm zur Dokumentation und Verwaltung. Pädagogen müssen hier Schüler- und Lehrerdaten, Stundenpläne, Fehlstunden, und Lehrausgänge erfassen. Auch die Noteneintragung erfolgt online.

Das Verwaltungsprogramm hat schon in der Vergangenheit für Missmut bei Lehrern und Direktoren gesorgt. Seit 2013 arbeiten die Wiener Pflichtschulen mit der Software, Notenpannen und Systemfehler inklusive. Auch Clara Veit ist nicht begeistert. Die Anwendung sei kompliziert und alles andere als benutzerfreundlich. Zudem hänge sich das Programm schnell auf, wenn viele Lehrer gleichzeitig darauf zugreifen, wie es beispielsweise zur Noteneintragung am Ende des Semesters der Fall ist, erzählt Veit.

"Eh schon wenig" Verwaltung

Auf die Verwaltungsaufgaben ist Veit während ihrer Ausbildung überhaupt nicht vorbereitet worden, kritisiert sie. Eintragungen ins Klassenbuch, die Kommunikation mit den Eltern über das Mitteilungsheft, die Onlinedokumentationen über den Unterricht waren der 24-Jährigen fremd. "Meine Kolleginnen und die Direktorin unterstützen mich da sehr, sonst hätte ich von alldem keine Ahnung", so Veit.

Zusätzliches Supportpersonal zur administrativen Unterstützung der Pädagogen - wie immer wieder von den Gewerkschaften gefordert und mehrmals von der Politik versprochen - findet sie "wenig sinnvoll". Denn fast alles, was dokumentiert werden muss, kann nur der zuständige Lehrer wissen. Als Beispiel nennt Veit die Stammbögen. Sowohl zu Beginn als auch am Ende eines jeden Semesters muss sie die Stammbögen für jedes Kind ihrer Klasse ausfüllen. Darin finden sich nicht nur allgemeine Daten wie Name und Adresse des Kindes, sondern auch Angaben über die Lernfortschritte, sowie Stärken und Schwächen.

Es wäre ein zusätzlicher Schritt, dem Administrativpersonal die Informationen weiterzugeben, "da kann ich es gleich selbst eintragen", erklärt die Lehrerin weiter. Um alles andere wie Abrechnungen oder Anträge kümmert sich an Veits Schule das Sekretariat. Dadurch ist der bürokratische Aufwand "eh schon wenig", meint die Volksschullehrerin. Ihr Fazit: Ein gewisses Maß an Bürokratie und zusätzlichen Aufgaben gehören zu dem Beruf dazu, auch wenn es während der Ausbildung nicht vermittelt wird.

Bürokratie als Willkürschutz

Auch Georg Geiger fühlte sich "völlig vor den Kopf gestoßen", als er vor vielen Jahren zum ersten Mal ins Klassenbuch eintragen sollte. Er sei nicht wirklich darauf vorbereitet worden, dass Lehrersein nicht nur unterrichten bedeutet, erzählt er.

Der mittlerweile pensionierte Religionslehrer lehrte sowohl an einem Wiener Gymnasium als auch Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule. Er weiß um die vielen Stunden, die Lehrkräfte mit Administrativarbeit zubringen. Und auch, dass dieser Teil der Arbeit in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen hat. Dennoch sieht er in dem "Dokumentations-Wahnsinn" viel Gutes. "Bürokratie gibt die notwendige Struktur für Schüler, Eltern und Lehrer vor", meint Geiger. Zudem schütze die Bürokratie das Lehrpersonal auch vor Willkür seitens der Eltern, Vorgesetzten und Kollegen. Den Einsatz von administrativem Unterstützungspersonal sieht Geiger "skeptisch". Seiner langjährigen Erfahrung nach seien Verwaltung und Pädagogik "nicht gut zu trennen". Geiger weiter: Es braucht immer auch das pädagogische Know-how, denn eine völlige Separation der Bereiche kann im Schulwesen nicht erfolgen.

Im Wiener Stadtschulrat sieht man die Lage deutlich drastischer. Dort wird schon lange an einer Verringerung der Bürokratie gefeilt. Der Entbürokratisierung will man nun näher gekommen sein. In den letzten Monaten prüfte die Rechtsabteilung des Stadtschulrats sämtliche Erlässe auf ihre Notwendigkeit und Aktualität. Dabei wurden in einer ersten Runde 521 der insgesamt mehr als 2000 rechtlich bindenden Erlässe gestrichen.

Reduzierung der Erlässe

Die Zahl der weggefallenen Direktiven mag hoch klingen. Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, dass es sich dabei um eine Vielzahl bereits seit vielen Jahren hinfälliger Erlässe handelt. Die Information über die Beendigung der Reihentuberkulosetests von dem Jahr 1992 mag heute genauso obsolet sein wie die Informationsmöglichkeiten zum Thema Euro aus dem Jahr 1998 - vor der Einführung des Euro 1999 als Buchwert und 2002 als Barwert.

In den kommenden Monaten sollen die noch verbleibenden Erlässe erneut einer Prüfung unterzogen und nach Möglichkeit präzisiert und zusammengeführt werden.