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"Bürokratie-Wahnsinn zurückdrängen"

Von Werner Reisinger und Simon Rosner

Politik

Kurz präsentiert Teil 2 des Papiers, mit dem die "Neue ÖVP" in den Wahlkampf zieht. Ganz so neu ist sein Wahlprogramm aber nicht.


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Wien Spannung aufbauen, die Dramaturgie einhalten, gut verkaufen - das ist die Sache des Sebastian Kurz. Der Spitzenkandidat der "Neuen ÖVP" legte am Mittwoch den zweiten Teil seines Wahlprogramms "Neue Wege" vor. Behandelte der erste Teil mit dem Titel "Neue Gerechtigkeit und Verantwortung" vor allem die Themen Lohnsteuersenkung, Mindestsicherung und Sozialleistungen, geht es in "Aufbruch und Wohlstand" nun vor allem um den Wirtschaftsstandort und um Bildung. Alles neu? Mitnichten, in zahlreichen Bereichen finden sich im Programm nicht nur klassische ÖVP-Positionen und alte Kurz-Ideen, sondern auch Forderungen anderer Parteien. Vieles erscheint im Abgleich mit dem "Plan A" der SPÖ Christian Kerns nicht nur durchaus als potenzielle Kompromiss-Materie, in einzelnen Punkten gibt es sogar Übereinstimmungen. Auch Forderungen, die man von Neos oder Grünen kennt, kommen vor. Aber der Reihe nach.

Standort soll gestärkt werden

Zurück an die Spitze soll es Österreich bringen, das Kurz’sche Programm, für das der ÖVP-Chef zahlreiche Gespräche mit Vertretern verschiedener Berufsgruppen geführt hat und an dessen Prozess er Experten teilhaben ließ.

Es gelte, den "Bürokratie-Wahnsinn zurückzudrängen". Wie auch SPÖ-Chef Kern will auch Kurz eine Neuregelung der Gewerbeordnung: Modernisiert soll diese werden, allerdings auch "die Qualität der Produkte und Dienstleistungen weiterhin absichern". Eingeschossen hat sich Kurz allerdings auf das Arbeitsinspektorat. Dieses soll sich künftig als "Serviceeinrichtung" verstehen und nach dem Prinzip "beraten statt strafen" arbeiten - eine alte Forderung der Wirtschaftskammer.

Es könne nicht sein, sagte Kurz bei der Präsentation des Teil-Programms im Salzburger Fuschl, dass Reinigungskräfte unterschreiben müssten, "dass man Putzmittel nicht trinken darf" oder Köche schriftlich zur Kenntnis nehmen müssten, dass "Messer scharf und spitz" seien. Für den Standort Österreich soll es mehr Rechtssicherheit für Unternehmen geben, gleichzeitig soll die Exportwirtschaft gestärkt werden - etwa über neue Dachmarken für landwirtschaftliche Produkte. Über die "Rot-Weiß-Rot-Card" und eine Fachkräfteinitiative "nach internationalem Vorbild" will Kurz die heimischen Unternehmen mit gutqualifizierten Arbeitskräften versorgen.

GmbH-Modell à la Neos

Vor allem aber will er Unternehmensgründungen vereinfachen und so Wachstum und Beschäftigung steigern. Mit der Forderung der GmbH-Gründung ohne Stammkapital und der damit zusammenhängenden Abschaffung der Mindest-Körperschaftsteuer greift Kurz eine Idee der Neos aus dem Jahr 2014 auf: "GmbH zero". Die Argumentation dahinter, damals wie heute: Das Stammkapital habe hat seine Wirkung als Gläubigerschutz längst verloren, zumal durch die Schaffung der "GmbH light" vor einigen Jahren die Mindesteinlage von 35.000 auf 10.000 Euro gesenkt wurde. Die gänzliche Streichung eines notwendigen Stammkapitals soll die Hürden für die Gründung einer solchen Gesellschaft senken - doch genau das sieht Insolvenzexperte Hans-Georg Kantner vom Kreditschutzverband 1870 als Problem. "Es ist eine gefährliche Botschaft", sagt er. Die geringer gewordene Bedeutung des Stammkapitals als Schutz für die Gläubiger wertet zwar auch Kantner als evident, doch könnten zu niedrige Hürden Gründer dazu verleiten, eine für sie und ihr Geschäftsmodell ungünstige Gesellschaftsform zu wählen und zu hohes Risiko zu nehmen. "Als Geschäftsführer einer GmbH können sie durch die Haftung in Teufels Küche kommen. Man muss den Gründern auch die Augen öffnen, dass eine GmbH auch mit Risiken verbunden ist, und dieses Risiko bedeckt man am besten mit Eigenkapital", sagt der Insolvenzexperte. Der Wegfall der Mindest-KöSt würde laut Kurz 80 Millionen Euro kosten.

SPÖ-Schnittmengen

Kurz will auch dafür sorgen, dass Arbeitnehmern mit geringem Einkommen mehr im Börsl bleibt: Den reduzierten Beitrag für die Arbeitslosenversicherung für niedrige Einkommen will er nicht nur beibehalten, sondern die Grenzen bis zu mittleren Einkommen hinaufziehen. Der reguläre Satz für den Dienstnehmer beträgt 3 Prozent vom Bruttogehalt, derzeit entfällt dieser Beitrag jedoch bis zu einem Einkommen von nur 1342 Euro. Erst ab einem Gehalt von 1648 Euro ist der volle Beitrag zu entrichten. Im Kurz-Plan liegt die letzte Grenze nun fast bei 2000 Euro, wodurch Mehrkosten verursacht werden, die der ÖVP-Chef mit 200 bis 250 Millionen Euro beziffert.

Interessant ist diese Forderung, da sie doch eher sozialdemokratisch gefärbt klingt, und tatsächlich wurde diese Abgabenerleichterung für Geringverdiener unter Kanzler Alfred Gusenbauer von Rot-Schwarz 2008 eingeführt. Der finanziellen Belastung für die Arbeitslosenversicherung stehen freilich Mehreinnahmen für den Finanzminister gegenüber. Für den Arbeitnehmer heißt das: Die Entlastung wird zu einem Drittel von der Steuer wieder aufgefressen.

Stichwort Schnittmaterie mit der SPÖ: Einig ist man sich hier, dass bei der Bildung ganz früh angesetzt werden muss. Im "Plan A" von Christian Kern ist von einem "klaren, bundesweiten Qualitätsrahmen" für Frühkindpädagogik zu lesen, das Kinderbetreuungsangebot solle für einen optimalen Start ins Bildungsleben sorgen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sicherstellen. Kern fordert ein verpflichtendes zweites Kindergartenjahr, Kurz will das auch - "für jene, die es brauchen". Zielgruppe seien "Kinder, deren Bildungs- bzw. Deutschniveau nicht ausreicht".

Gleichzeitig will Kurz die Ausbildung der Kinderbetreuer "schrittweise auf Hochschulniveau" anheben und Weiterbildungsmöglichkeiten anbieten.

Klassisch schwarz ist die Position der "Neuen ÖVP" beim Thema Schule: Kurz bekennt sich zum "differenzierten Schulsystem", was die ÖVP-dominierte Lehrergewerkschaft freuen dürfte. Auch der Religionsunterricht soll beibehalten werden, allerdings sollen jene Schüler, die daran nicht teilnehmen, künftig einen verpflichtenden Ethikunterricht besuchen müssen. Wie auch die SPÖ will auch die ÖVP in der Schule digitale Kompetenzen stärker vermitteln.

Mit einer Forderung aber lässt Kurz aufhorchen: Die geltende Unterrichtspflicht will er in eine "Ausbildungspflicht" bis 18 umwandeln. "Was muss man können, wenn man die Schule verlässt?", fragt Kurz. Die Ausbildungspflicht soll künftig erst dann absolviert haben, wer sinnerfassend lesen und schreiben kann sowie die Grundrechnungsarten beherrscht. Kinder mit nicht ausreichenden Deutschkenntnissen sollen spezielle Deutschklassen besuchen müssen, bevor sie am Regelunterricht teilnehmen dürfen.

Wenig überraschend die Reaktionen der Konkurrenz: SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler verglich das Kurz’sche Programm mit einem "Panini-Album" ("Häppchenweise und unverdaulich"), die FPÖ sieht darin "nicht mehr als leere Worthülsen". Die Grünen befanden, Kurz habe mit seiner Forderung "Deutsch vor Schuleintritt" von der FPÖ abgeschrieben , die Neos sahen Kurz als "Retter des Bildungswesens unglaubwürdig".