Der gegenwärtige Transformationsprozess in Europa sei mit dem Wandlungsgeschehen in der Spätantike zu vergleichen. Das meinte Erhard Busek, Regierungsbeauftragter für EU-Erweiterungsfragen, vergangene Woche bei einem Vortrag zum Thema "Europa - Werte und Grenzen - Szenario 2020".
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Durch den Fall des Eisernen Vorhanges und der dadurch gewandelten geschichtlichen Situation sei der EU-Osterweiterungsprozess nur eine der möglichen Fragen, die es im Hinblick auf ein Wohin von Europa zu bedenken gäbe. Das Sicherheitsparadigma habe sich gewandelt - es gibt nicht mehr zwei sich gegenüberstehende Blöcke - ebenso wie die Staatenlandschaft, denn seit 1989 sind 14 neue Staaten an der Grenze zur EU entstanden. Die mögliche Rolle Österreichs als Brücke zwischen Ost und West hält Busek jedoch für übertrieben. "Dass wir seit 1989 die großen Profiteure dieses Prozesses" sind, ist für Busek aber evident. Die Chance Österreichs sei, nicht mehr der östliche Rand der westlichen Welt und der Rand der Europäischen Union zu sein.
Europa, das nicht nur vor Fragen stehe wie, ob der Euro gelinge oder wie Nizza zu bewerten sei, habe in den nächsten Jahren entscheidende Aufgaben zu lösen. Die wirtschaftliche Großmacht Europa stehe im Kontrast zu seiner politischen Handlungsfähigkeit. In den USA beispielsweise werde die Europäische Union zwar als ein "global payer but not a global player" gesehen, formulierte Busek. Russland hingegen sei ein "global player". Ein EU-Beitritt des Landes soll "intellektuell sehr interessant, aber für russische Politiker nicht nachvollziehbar" sein.
Ein notwendiger Schritt bis 2020 ist laut Busek die Klärung der Verfasstheit der EU und deren Institutionen. Ohne die Lösung der Frage nach einer europäischen Verfassung und wer dafür verantwortlich sei, leide die Handlungsfähigkeit Europas. Die Wurzeln der europäischen Geistesgeschichte berührend wünscht sich Busek vermehrte Kooperation auch in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Kultur. Zum Problemkreis der globalen Kompetenz Europas wirft Busek die Frage auf: "Sind wir ein Kriegsschauplatz der verschiedensten Auseinandersetzungen oder ein Laboratorium des 21. Jahrhunderts"?
Auch den Transatlantischen Dialog hält der Osteuropaexperte für entscheidend. Längerfristig gesehen, sei es für Europa gar nicht schlecht, wenn sich Amerika hier nicht mehr so stark artikuliere - wie es die gegenwärtige Bush-Regierung lanziert. Denn dann müssten die Europäer mehr Verantwortung übernehmen.