Beim Brüsseler EU- und NATO-Gipfeltreffen brachte US-Präsident George W. Bush auch den israelisch-palästinensischen Konflikt zur Sprache. Deutlicher als bisher stellte er sich dabei hinter die Position Europas, wonach nur ein territorial zusammenhängender Palästinenserstaat eine dauerhafte Nahost-Friedenslösung gewähren kann. Wie weit der Weg bis dahin trotz internationaler Bemühungen noch ist, wurde der Welt gestern einmal mehr vor Augen geführt. So kündigten jüdische Siedler wie auch Vertreter der rechtsgerichteten Likud-Partei eine massive Mobilisierung gegen den Gaza-Rückzug an. Der palästinensische Ministerpräsident Ahmed Korei scheiterte indes mit der Bildung einer neuen Regierung.
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Nach vielen Fehlstarts und "gestohlenen Leben" sei nun "die Zeit gekommen, im Nahen Osten das Ziel von zwei demokratischen Staaten - Israel und Palästina - zu erreichen, die nebeneinander in Frieden und Sicherheit leben", erklärte Bush gestern im Vorfeld des abendlichen EU-Gipfeltreffens pathetisch. Auch verlangte er von Israel erneut den Baustopp jüdischer Siedlungen. Dem Plan Israels, sich zwar mit einen künftigen Palästinenserstaat im Westjordanland abzufinden, ein zusammenhängendes Staatsgebiet aber auf alle Fälle zu verhindern, erteilte der US-Präsident eine klare Absage: "Ein Staat, der aus voneinander abgetrennten Enklaven besteht, wird nicht funktionieren". Er ging damit über seine bisherige Position deutlich hinaus.
Ob Bushs Vorstoß bloßes Lippenbekenntnis ist oder tatsächlich einen transatlantischen Schulterschluss verkündete, wird sich erst weisen müssen. Lebendig sind in Europa jedenfalls noch die Erinnerungen, als er dem israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon im Frühjahr 2004 grünes Licht für seinen Plan gab, als Kompensation für die Räumung des Gazastreifens weite Teile des Westjordanlandes zu annektieren. Dies hatte zu Differenzen mit der EU geführt, die darin eine De-facto-Aufkündigung des internationalen Nahost-Friedensplanes sah und umgehend eine Konferenz des Nahost-Quartetts einberief. Dort wurde bekräftigt, dass eine einseitige Veränderung der Grenzen des von Israel 1967 besetzten Westjordanlandes schlicht illegitim ist. Denn laut dem von der EU, den USA, der UNO und Russland ausgearbeiteten Friedensplan kann die künftige Staatsgrenze ausschließlich in israelisch-palästinensischen Verhandlungen festgelegt werden. Washington hatte damals zwar beschwichtigt, an der einseitigen und oft unkritischen Unterstützung für Israel änderte sich aber nicht viel.
Lob von Tony Blair
Der britische Premierminister Tony Blair, ein bekennender Kritiker von Bushs israel-freundlicher Politik und kommende Woche Schirmherr einer internationalen Nahost-Friedenskonferenz in London, zeigte sich nach seinem gestrigen Arbeitsfrühstück mit dem US-Präsidenten betont optimistisch, dass eine einvernehmliche Lösung des Nahost-Konflikts gefunden wird. Bush habe sehr klar und energisch den weiteren Weg zum Frieden in der Region beschrieben, lobte er den Gast in Brüssel. Blair verlieh ganz im Sinne von Bush auch seiner Hoffnung Ausdruck, dass ein Frieden in Nahost die "internationalen Beziehungen weltweit" positiv beeinflussen werden. Auch die zwischen USA und Europa.
Die Ultrarechte formiert sich Bis zu einer Nahost-Friedenslösung liegt allerdings noch ein steiniger Weg. Premier Sharon will zunächst bis Herbst die Räumung des Gazastreifens bewerkstelligen, doch die Formierung massiven Widerstandes durch radikale Kreise in Israel lässt das Projekt zusehends fraglich werden. So forderte gestern eine Mehrheit der Likud-Abgeordneten eine Volksabstimmung, nachdem am Wochenende das Gesetz zur Regelung des Abzugs die letzte Hürde genommen hatte. In dem in der Tageszeitung "Haaretz" veröffentlichten gemeinsamen Aufruf schrieben 26 der 40 Likud-Abgeordneten, dass "nur ein Referendum eine Spaltung des Volkes" verhindern könne. Zu den Unterzeichnern gehören keine geringeren als Finanzminister Benjamin Netanyahu, Ex-Premier und früherer Parteichef, sowie Erziehungsministerin Limor Livnat.
Sharon hat ein Referendum bisher ausgeschlossen. Eine Volksabstimmung würde den Zeitplan des Abzugs verzögern und die Spannungen innerhalb der israelischen Gesellschaft verschärfen, argumentiert er.
Doch ohne die Hardliner hat Sharon keine Mehrheit in der Knesset hinter sich. Er wird also Zugeständnisse an die Ultrarechte machen müssen. Zumal im März die Absegung des Haushaltsgesetzes bevorsteht. Sharon braucht dafür die absolute Mehrheit. Die ultra-orthodoxe Shas-Partei, deren Stimmen dringend gebraucht werden, ließ bereits anklingen, dass sie gegen die Budgetvorlage stimmen wird, auch wenn dies den Sturz der Koalitionsregierung samt Neuwahlen zur Folge hätte.
Gegen die Räumung der 21 jüdischen Siedlungen aus dem Gazastreifen mobilisiert parallel auch der radiale israelische Siedlerrat. Dieser kündigte gestern die Bildung eines "Widerstands-Stabs" an. Der Rat der Rabbiner der Siedlungen ermunterte zu zivilem Ungehorsam. Nach Angaben der Sprecherin des Siedlerrates, Emily Amrusy, haben sich bereits als 100.000 Israelis schriftlich zur Teilnahme an einem Sitzstreik verpflichtet, mit dem der Abzug scheitern soll; unter ihnen auch zahlreiche Ex-Militärs.
Korei hat Probleme bei der Regierungsumbildung
In Palästina gestaltet sich indes die Regierungsbildung extrem schwierig. Auf Druck des palästinensischen Legislativrates (Parlament) musste Ministerpräsident Ahmed Korei seine Kabinettsliste zurückziehen und vollständig überarbeiten. Das neue Kabinett werde nun überwiegend aus Experten bestehen, nur zwei Mitglieder würden gleichzeitig Abgeordnete sein, gab Korei am Dienstag in Ramallah bekannt. Politische Beobachter gingen davon aus, dass es sich dabei um Außenminister Nabil Shaath und den für Verhandlungen mit Israel zuständigen Minister Saeb Erekat handeln dürfte. Finanzminister Salam Fayed soll seinen Posten behalten. Der Legislativrat soll heute, Mittwoch, über die künftige Regierung abstimmen.
Am Montag hatte sich unter den Fatah-Abgeordneten starker Widerstand gegen Koreis Vorschlag abgezeichnet. Mehrere Parlamentarier seiner Fatah-Mehrheitsfraktion hatten sogar mit einem Misstrauensantrag gegen den Premier gedroht, falls er ihre Vorbehalte nicht berücksichtigen sollte. Die Abgeordneten kritisierten, dass sich auf der Liste zu viele alte Gesichter aus der Ära des verstorbenen Ex-Präsidenten Yasser Arafat befunden haben, die sich vor allem durch Reformunfähigkeit und Korruption ausgezeichneten.