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Bush in Europa: Abschiedsvisite eines Mannes, der nichts mehr zu sagen hat?

Von Michael Schmölzer

Analysen

Selten hat der Besuch eines US-Präsidenten für so wenig Aufregung gesorgt. Wenn George W. Bush am morgigen Dienstag mit der "Air Force One" in Berlin-Tegel landet, wird das vergleichsweise wenig Furore machen. Das mag unter anderem am Fußball-Fieber liegen, das sich natürlich auch in Deutschland breit gemacht hat. Hauptgrund ist aber, dass der US-Präsident, der seit dem Verlust der republikanischen Mehrheit im Kongress zunehmend als "Lame duck" umherwatschelt, mittlerweile als Mann wahrgenommen wird, der nichts mehr auszurichten hat. | In den internationalen Medien tritt Bush tatsächlich nur noch als Beiwerk in Erscheinung: Als Gratulant, der den Präsidentschaftskandidaten Barack Obama beglückwünscht oder als potentieller Klotz am Bein des republikanischen Kandidaten John McCain.


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Für die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ist Bushs Abschiedsvisite unter diesen Vorzeichen nicht mehr als ein eher unangenehmer Pflichttermin. Bush ist in den USA und in Deutschland so unbeliebt ist wie kaum einer seiner Vorgänger, sich mit ihm öffentlich zu zeigen bringt wenig Sympathien. Die Frage ist außerdem, ob wichtige Themen wie die Zukunft Afghanistans, das Atomprogramm des Iran, die Nahost-Dauerkrise oder das für Europa vorgesehene umstrittene US-Raketenabwehrsystem bei dem Treffen überhaupt noch eine Rolle spielen werden. Auch in Rom, Paris, London und beim slowenischen EU - USA-Gipfel wird Bush eher auf Desinteresse stoßen.

Die letzten Versuche des Mannes im Weißen Haus, außenpolitisch Akzente zu setzen, sind gescheitert. Die Erwartung, dass der Nahost-Friedensprozess durch die Konferenz von Annapolis neuen Schwung erhält, hat sich zerschlagen. Eine letzte Abfuhr holte sich Bush vor zwei Monaten, als die Europäer eine schnelle Aufnahme Georgiens und der Ukraine in die Nato verhinderten.

Bleibt noch die Frage, ob der scheidende US-Präsident, der seinem Nachfolger das Irak-Desaster hinterlässt, zu einem finalen Paukenschlag ausholt und einen israelischen Angriff gegen den Iran mitträgt.

Der US-Präsident hat zuletzt mehrfach betont, dass ein solcher Militärschlag jederzeit im Bereich des Möglichen sei. Dass es dazu noch in den letzten Monaten der Ära Bush kommen wird, ist tatsächlich nicht völlig auszuschließen. Denn Bush würde sich mit der Unterstützung eines von Israel massiv geforderten Luftschlags gegen iranische Atomanlagen nicht in Widerspruch zu seinem Nachfolger setzen: Sowohl Obama als auch McCain befürworten ein kompromissloses Vorgehen.

Unter Umständen wird Bush bei seiner Abschiedstournee erkunden, wie die Europäer auf einen Angriff auf den Iran reagieren würden.

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