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Bush "pilgert" nach Rom

Von Norman Birnbaum

Politik

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Am 4. Juni 1944 drängten sich die Römer auf den Straßen, um die US-Armee zu begrüßen, die gekommen war, um sie vom italienischen Faschismus und der deutschen Besatzung zu befreien. Heute, am 4. Juni 2004, werden die Straßen der Stadt wieder voller Menschen sein - die gegen den Besuch von US-Präsident George Bush demonstrieren.

Der Präsident wird allerdings aus seinem Hubschrauber nicht viel von ihnen sehen. (Als Bill Clinton in Italien war, ging er in ein gewöhnliches Pizzalokal, um dort mit den Leuten zu sprechen.) Der Secret Service hat angeordnet, dass Bush die Stadt meiden soll. Die Sicherheitsleute nehmen die italienische Regierung zu ernst. Wie sein Kollege über dem Großen Teich kann auch Italiens Premierminister Silvio Berlusconi nicht akzeptieren, dass in einer demokratischen Gesellschaft politische Meinungsverschiedenheiten legitim sind.

Terroristen begünstigt?

Sein Innenminister sagt, dass die Demonstranten am 4. Juni den "Terroristen" den Weg bereitet. Dieses Wort wird von Berlusconis Koalition, die zum größten Teil aus Günstlingen, Post-Faschisten und Ausländerfeindlichen besteht, verwendet, um jene zu beschreiben, die sie nicht mögen. Die Mitte-Links Parteien, die sich gegen Berlusconi stellen, warnen, dass Gruppen gewalttätiger Störenfriede (möglicherweise eingeschleust von Polizeispitzeln) die Demonstranten in Verruf bringen wollen und damit die gesamte Opposition. Viele der Politiker, die gegen Berlusconi sind, werden deshalb nicht an der Demonstration teilnehmen. Einige von ihnen werden allerdings ihrem Unmut gegen den Krieg Ausdruck verleihen, indem sie dem offiziellen Empfang für Bush fern bleiben.

Berlusconi hat Bush eingeladen, um sein eigenes sinkendes politisches Ansehen wieder etwas aufzupolieren. Kürzlich beschrieb er Bush im Fernsehen (das er entweder privat besitzt oder das von ihm als Premier kontrolliert wird) als liebevollen Familienvater, dem das Leiden der irakischen Bevölkerung großen Kummer bereitet.

61 Prozent gegen Bush

Es wird jedoch schwierig werden, die normalerweise US-freundliche italienische Öffentlichkeit zu überzeugen. In einer jüngsten Meinungsumfrage lehnten 61 Prozent die Politik Bushs ab und 54 Prozent glauben, dass die Koalitionstruppen den Irak sofort verlassen sollen. Auf die Frage nach dem beliebtesten ausländischen Staatsoberhaupt bekam der spanische Premier Zapatero mehr Stimmen als Bush. Das ist angesichts Zapateros Unabhängigkeit nicht verwunderlich.

Berlusconi befürchtet, dass besonders die kleineren katholischen Parteien seine Regierungskoalition wegen seiner Verbindung mit Bush verlassen und so seinen Rücktritt erzwingen könnten. Es wird erwartet, dass seine Partei und ihre Verbündeten bei den Europawahlen sehr schlecht abschneiden werden.

Die Diskussion in Italien wird etwa genauso heftig geführt wie jene in Großbritannien. Nachdem bei den in den Irak entsandten italienischen Truppen (nur 2.700) erste Todesopfer zu beklagen waren, wurden vier italienische Zivilisten, die dort gearbeitet hatten, gekidnappt. Einer wurde ermordet und drei sind weiter in Gefangenschaft. Als Bürgerrechtsgruppen für die Freilassung der Gefangenen und gegen die Kriegsgräuel demonstrierten, machte Berlusconi sich über sie lustig.

Aufrechter Ciampi

Es gibt jedoch eine Person, über die er sich nicht hinwegsetzen kann, den äußerst angesehenen Präsidenten Italiens, Carlo Ciampi. Berlusconi konnte für seine Irak-Pläne den Großteil seiner eigenen zersplitterten parlamentarischen Mehrheit nur dadurch gewinnen (einige der Katholiken waren besonders skeptisch), weil er ihnen sagte, dass die Hauptaufgaben des italienischen Kontingents der Wiederaufbau und die Friedenssicherung sein werden. Nachdem italienische Soldaten zum ersten Mal beschossen worden waren, erinnerte Ciampi Berlusconi in einem Brief daran, dass das Ziel der Mission die Friedenssicherung ist.

Das ist eine eindeutige Drohung. Ciampi wird die Truppen nach Hause zurück beordern, wenn er glaubt, dass Berlusconi das ihm vom Parlament übertragene Mandat verletzt. Die Opposition ist geteilter Ansicht darüber, ob sie einen Antrag über den sofortigen Abzug der italienischen Truppen einbringen oder das unsichere Ende der britisch-amerikanischen Manöver im Irak und im UN-Sicherheitsrat abwarten soll.

Unter Umständen kann Bush Berlusconi gar nicht helfen. Der Italienbesuch des US-Präsidenten könnte nämlich Berlusconis Isolation in Europa und seine bedrängte Lage in Italien sogar noch unterstreichen.

Rom ist natürlich das Zentrum der römisch-katholischen Welt. Bush könnte mit amerikanischen Katholiken sprechen, die in Rom studieren oder arbeiten, und so erfahren, dass die Kirche kein Monolith ist, sondern dass sich ihr Geist ständig durch Konflikte erneuert. Aber sein theologisches Interesse ist einfach: Er braucht im November die Stimmen der Katholiken und ein Besuch beim Papst ist der offensichtlichste Weg, sie zu bekommen. Oder etwa doch nicht?

Die fundamentalistischen Protestanten, die für Bush in den letzten Jahrzehnten unverzichtbar waren, sind eine Allianz mit einigen der Katholiken eingegangen, denen sie einst abgeschworen hatten. Sie haben ihre Differenzen über Themen wie Abtreibung, Rechte von Homosexuellen (und jetzt Schwulen-Ehe), Schulgebet oder medizinische Forschung beigelegt und eine gemeinsame Front gegen eine liberalere christliche Moral gebildet, hinter der sie die verhasste Säkularisierung vermuten.

Moralische Entscheidung

Die meisten Katholiken haben sich dieser Allianz nicht angeschlossen. Sie stimmen der Mehrheit der katholischen Bischöfe, den Theologen und den Laienführern zu, die argumentieren, dass Katholiken sehr wohl eine politische Verantwortung haben, die mit ihrem Glauben zusammenhängt. Sie betonen jedoch, dass nicht ein einzelnes Thema oder eine Gruppe von Themen als Lackmustest für die mögliche Anerkennung von Kandidaten oder einer Partei angewendet werden können. Sie wollen politische Entscheidungen mit einer weiten moralischen Perspektive treffen.

Die Konferenz der katholischen US-Bischöfe hat unaufhörlich Bushs Außenpolitik kritisiert. Die Doktrin eines Präventivschlags, der Krieg im Irak, Bushs systematische Ablehnung internationaler Übereinstimmung und Kooperation, seine Umarmung Sharons und die Ablehnung der "Road Map" für den Nahen Osten haben den Bischöfen wichtige Argumente für die Unterstützung alternativer Politik gegeben.

Etwa ein Viertel der amerikanischen Bevölkerung sind Katholiken, in den US-Truppen sind es sogar ein Drittel: Auch dort hört man auf die Bischöfe.

Bush mag eine provinzielle, sogar primitive Sichtweise darüber haben, wie Katholizismus funktioniert. Mit dem Papstbesuch in Rom hofft er offensichtlich, die kritischen Katholiken in den USA zu besänftigen. Da gibt es allerdings ein großes Problem: Wenn die amerikanischen Bischöfe über die Rolle der USA in der Welt sprechen, dann hört ihnen der Papst zu. Der alte Mann ist nicht leicht zu beeinflussen und ihre Ansichten und seine haben gemeinsame Wurzeln.

Der Papst betonte immer wieder die Pflicht der Staaten, internationales Recht zu respektieren. Außerdem solle der Krieg gegen den Terrorismus nicht nur aus Bestrafung und Unterdrückung bestehen. Er rief Staaten auch dazu auf, im Rahmen der UNO und nicht im Alleingang zu handeln. Der Papst hatte Kardinal Pio Laghi, den früheren päpstlichen Nuntius in Washington, am Vorabend des Irak-Kriegs mit einer deutlichen Botschaft zu Bush gesandt: "Es gibt auf dem weiten Parkett des internationalen Rechts noch immer friedliche Wege und Institutionen, die zu diesem Zweck existieren. Eine Entscheidung über den Einsatz von Militärmacht kann nur im Rahmen der UNO erfolgen". Das ist jedoch genau das, was Bush nicht getan hat.

Laghis Interview

Laghi führte mit dem Weißen Haus auch die Verhandlungen über Bushs Besuch am 4. Juni. Mittlerweile hat er dem "Corriere della Serra" ein Interview gegeben, das voll ist von diplomatischen Zwischentönen: "Wir befinden uns am Rande eines Abgrundes und wir müssen stehen bleiben. Das Wichtigste ist, dass die USA den Respekt für die Menschlichkeit wiederherstellen, in die Familie der Nationen zurückkehren und der Versuchung widerstehen, im Alleingang zu handeln."

Der Besuch eines Präsidenten in einem Wahljahr, merkte der Kardinal an, ist vom Standpunkt des Vatikan aus normalerweise unpassend. Bush hatte jedoch zwei Mal um die Audienz angesucht und der Papst stimmte schließlich zu, weil er Bush als den Nachfolger jenes Präsidenten sieht, der 1944 für die Befreiung von Rom mitverantwortlich war. "Aber die derzeitigen Entscheidungen des US-Präsidenten bringen die Menschenrechte nicht in den Nahen Osten."

Der Umgang mit dem Islam

Der Kardinal betonte, dass es wichtig sei, "Brücken zum Islam zu schlagen und nicht Gräben zwischen uns aufzureißen." Er kritisierte besonders den unsensiblen Umgang der USA mit dem Islam und das Verhalten der US-Truppen im Irak. "Oberste Priorität muss die Lösung des Nahostkonflikts sein - der Hauptquelle für den Terrorismus", so Laghi.

Der Vatikan übt sich seit fast 2.000 Jahren in Diplomatie und Laghi sechzig seiner achtzig Jahre. Er wusste genau was er tat , als er das Interview der angesehensten Zeitung des Landes gab: Er machte klar, dass der Papst Bush bitten werde, einen fatalen Fehler zu korrigieren.

Der Papst selbst eröffnete letzte Woche eine neue Front, als er einige US-Bischöfe empfing. Er sagte ihnen, dass es ihre Aufgabe sei, auf die "tiefgehenden religiösen Bedürfnisse und Bestrebungen einer Gesellschaft einzugehen, die mehr als je zuvor der Gefahr ausgesetzt ist, ihre geistigen Wurzeln zu vergessen und einer seelenlosen materialistischen Weltanschauung nachzugeben". Das ist Lichtjahre von Bushs frommer Binsenweisheit von der Güte der amerikanischen Bevölkerung und dem pathologischen Narzissmus der Phrase von "der größten Nation der Erde" entfernt. Laghis Interview stellt der christlichen Politik die Aufgabe, die menschlichen moralischen Möglichkeiten in der Zukunft zu erweitern und nicht die Profite, die in der Vergangenheit angehäuft wurden, zu verteidigen. Es ist mit anderen Worten demokratisch, nicht republikanisch.

Religiöse Unterweisung

Die Begegnung zwischen dem gebildeten Papst und dem unbelesenen US-Präsidenten könnte zu einer Stunde religiöser Unterweisung werden. Wenn er es schafft zuzuhören, könnte Bush auch ein besseres Verständnis seiner eigenen protestantische Tradition mitnehmen: Die Warnung vor der Sünde des Hochmuts. Das Weiße Haus hatte keine Skrupel, über Gegner in den USA zu lügen und friedliche Kritiker zu beschimpfen oder zu ignorieren. Bushs politischer Gastgeber in Rom, Berlusconi, ist ein Clown. Mit dem Papst jedoch trifft Bush auf einen Riesen. Bleibt nur zu hoffen, dass er den Unterschied merkt.

Norman Birnbaum ist Professor Emeritus an der juridischen Fakultät der Georgetown Universität und Autor von "After Progress: American social reform and European socialism in the twentieth century", Oxford University Press.

Übersetzung: Barbara Ottawa