Washington - Das, was US-Präsident George W. Bush mit dem gigantischen Truppenaufmarsch am Golf erreichen will, war vor zwölf Jahren schon einmal in greifbarer Nähe: der Sturz Saddam Husseins. Nachdem die irakischen Soldaten sich bei der Flucht aus Kuwait zu Tausenden im Südirak ergeben hatten, wäre es für das hoch überlegene US-Militär ein Leichtes gewesen, den Marsch bis nach Bagdad fortzusetzen. Doch Bushs Vater ordnete den Rückzug an. Die Entscheidung ist heute heftig umstritten, doch offiziell lässt US-Präsident George W. Bush Kritik an seinem Vater nicht gelten.
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"Saddam Hussein 1991 nicht fertig gemacht zu haben ist einer der gravierendsten Fehler der amerikanischen Geschichte, egal, was die damals die Begründung für eine Begrenzung der Operation 'Wüstensturm' war", schrieb der ehemalige UNO-Botschafter Richard Holbrooke in der "Washington Post". "Wir hätten ihn 1991 erledigen sollen", meinte der ehemalige Geheimdienstchef James Woolsey in den Tagen nach den Terroranschlägen des 11. September.
Für Präsident George W. Bush ist es eine heikle Gratwanderung, die Entscheidung seines Vaters zu beurteilen. Er lässt sich darauf am liebsten gar nicht ein. "Anfang der 90er Jahre war es das Ziel, Kuwait zu befreien, und die USA haben dieses Ziel erreicht. Heute ist die Mission, Saddam Hussein im Namen des Friedens zu entwaffnen", antwortet er knapp auf Fragen in die Richtung.
"Im Nachhinein ist es völlig klar, dass die USA einen schrecklichen Fehler gemacht haben, als sie es versäumten, den Sturz von Saddam Hussein vor dem Ende der 'Operation Wüstensturm' sicherzustellen", meint auch der Präsident der Washingtoner Denkfabrik "Zentrum für Sicherheitspolitik", Frank Gaffney. Doch Bush Senior hatte die Zielsetzung der Konfrontation mit Bagdad 1990 mit Direktive 54 klar umrissen: der bedingungslose Rückzug des Irak aus Kuwait, die Wiederherstellung der kuwaitischen Souveränität, der Schutz amerikanischer Zivilisten im Ausland und allgemein die Unterstützung für mehr Stabilität am Persischen Golf. Nach kontroverser Diskussion entschloss sich das Kriegskabinett deshalb 1991, nicht bis Bagdad zu marschieren. Pikanterweise sitzen jede Menge Entscheidungsträger von damals erneut am Kabinettstisch: Außenminister Colin Powell war Generalstabchef, Vizepräsident Richard Cheney Verteidigungsminister und Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice Beraterin des ersten Präsidenten Bush.
Vor der Tufts-Universität verteidigte der ältere Bush seine Politik von damals vergangene Woche: die weltweite Koalition wäre "auf der Stelle zerbrochen", wenn amerikanische Truppen nicht vor Bagdad Halt gemacht hätten. "Die Madrider Nahost-Friedenskonferenz hätte nie stattgefunden." Ein Vormarsch zum Sturz von Saddam hätte das UNO-Mandat eindeutig verletzt.
Sein damaliger Außenminister James Baker verteidigt die Linie ebenfalls: "Die Sofa-Generäle vergessen im Nachhinein leicht, dass die Entscheidung damals vom Generalstabchef Colin Powell, den Regierungen der Welt, dem Kongress und der amerikanischen Öffentlichkeit gebilligt wurde".
Eine weniger schmeichelhafte Begründung für den frühen Rückzug liefert der Kommentator des US-Senders MSNBC, Michael Moran: "Der Teufel den Du kennst ist besser als der, den Du nicht kennst", meint Moran. Die damalige Bush-Regierung habe darauf gesetzt, mit einem stark geschwächten Saddam an der Macht ein Auseinanderbrechen des Irak und damit ein Erstarken des irakischen Erzfeindes Iran verhindern zu können.