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Büstenhalter und Herrenhosen aus China

Von WZ Online

Wirtschaft

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Für die Kunden sehen die Zahlen von EU-Kommissar Peter Mandelson zunächst einmal gut aus. Pullover seien 47 Prozent billiger geworden, seit zum Jahresbeginn die Schranken für chinesische Textilausfuhren nach Europa fielen. Hosen würden 24 Prozent und Damenoberbekleidung gar 50 Prozent günstiger angeboten, berichtete der Handelskommissar am Sonntag in Brüssel. Doch der Freihandel mit Kleidung aus China hat auch seine Kehrseiten.

Seit Monaten warnt der Herstellerverband Eurotex, die Klamottenschwemme aus dem Reich der Mitte grabe der europäischen Industrie das Wasser ab. Die Importzahlen der ersten drei Monate 2005 scheinen dies zu bestätigen: Um 63 Prozent auf mehr als 44 Millionen Stück stieg beispielsweise die Zahl der Büstenhalter, die aus chinesischen Fabriken nach Europa gelangten. Fast explosionsartig war die Entwicklung bei Herrenhosen und Pullovern: Dort erreichten die Zuwächse 413 beziehungsweise 534 Prozent und die Stückzahlen lagen wie bei T-Shirts im dreistelligen Millionenbereich.

Das gebe "Anlass zu ernster Sorge" um Jobs und Unternehmen in Europa, meinte Mandelson. Der Kommissar will die Marktlage nun in neun Kategorien überprüfen lassen. Das könne den europäischen Herstellern eine "Atempause" verschaffen. Aber eine dauerhafte Marktabschottung sei mit ihm nicht zu machen, betonte der Brite. Mögliche Schutzmaßnahmen seien stets von vorübergehender Wirkung: "Wir geben der europäischen Industrie eine Zeitspanne zur Reaktion und Anpassung an die Nach-Quoten-Welt der Textilmärkte."

Die Aufhebung der Einfuhrbeschränkungen, die Europa im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO mit den Chinesen aushandelte, war von beiden Seiten gewünscht. "Es gibt europäische Unternehmen, die ihre Produktionskapazitäten nach China verlagert haben und jetzt in großem Stil importieren", sagte Mandelson zum Verhalten der Textilkonzerne und wurde noch deutlicher: "Wenn wir über chinesische Ausfuhren nach Europa sprechen, dann sprechen wir über europäische Unternehmen, die in China produzieren und nach Europa exportieren."

Dabei dürften die Händler und Hersteller von den chinesischen Billiglöhnen noch deutlicher profitieren als der Verbraucher. Nun kommt die "Geiz-ist-geil"-Welle beim Kleiderkauf wie ein riesiger Tsunami nach Europa zurück und bedroht tausende Arbeitsplätze. Und nicht nur dort: Mandelson sieht auch traditionelle Lieferanten südlich des Mittelmeers - wie etwa Marokko - und andere Schwellenländer von chinesischen Näherinnen gefährdet.

Grundsätzlich will der EU-Kommissar an diesem System jedoch nichts ändern. "Mein Handlungsspielraum ist begrenzt in Umfang und Dauer", sagte Mandelson zu Schutzklauseln, die nach der Untersuchung greifen könnten. Auch dürfe der Handel mit China keinesfalls längerfristig gestört werden: "Wenn es in Europa Interessen gibt, die einen Handelskrieg mit China wollen, dann sind sie bei mir an der falschen Adresse", betonte der Brite in Brüssel.