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Butscha als Zäsur

Von Ronald Schönhuber

Leitartikel

Ein "Nein" zu schweren Waffen wird nach den Gräueln von Butscha unendlich schwieriger.


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Die Szenen aus dem ehemals beschaulichen Kiewer Vorort Butscha, in dem russische Soldaten auf bestialische Weise gemordet und vergewaltigt haben, sind nicht nur unerträglich - sie können auf einem Kontinent, der sich ein "Niemals wieder" geschworen hat, auch nicht ohne Konsequenz bleiben. Und so wird es in absehbarer Zeit nicht nur eine neue EU-Sanktionsrunde mit einem Embargo gegen diverse russische Rohstoffe und Handelswaren geben, sondern auch einen symbolisch aufgeladenen westlichen Besuchsreigen in Kiew. EU-Kommisonspräsidentin Ursula von der Leyen wird gemeinsam mit dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in die ukrainische Hauptstadt reisen, und auch Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer will Präsident Wolodymyr Selenskyj dort in den kommenden Tagen treffen.

Doch Butscha war kein Betriebsunfall, kein Führungsversagen einzelner Offiziere. Butscha ist System - mit derselben Verachtung für das Leben von Zivilisten hat Russland auch in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny und im syrischen Bürgerkrieg versucht, seine militärischen und politischen Ziele durchzusetzen.

Butscha wird daher auch kein Einzelfall bleiben. Aus anderen Gemeinden aus der näheren Umgebung Kiews gibt es bereits ähnliche Berichte über russische Gräuel, in der besetzten Großstadt Cherson wurden laut Satellitenfotos vor kurzem Massengräber ausgehoben, und was in den eroberten Vierteln im seit sechs Wochen belagerten Mariupol passiert, mag man sich gar nicht vorstellen.

Für den Westen ist in diesem Krieg damit eine entscheidende Wegmarke erreicht. Wenn verhindert werden soll, dass in der Süd- und Ostukraine, wo Russland nun seine Kräfte bündelt, um dann wohl mit aller Macht nochmals loszuschlagen, viele weitere Orte und Städte ein ähnliches Schicksal wie Butscha erleiden, muss die Unterstützung für die Ukraine noch weiter hochgefahren werden.

Noch schärfere wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland und die Erhöhung der Liefermengen für die bisher von der Ukraine so erfolgreich eingesetzten Anti-Panzer-Lenkwaffen werden dabei aber nicht reichen. Für Gegenoffensiven und den Kampf im offenen Gelände der Südukraine braucht es auch Panzer und schwere Artillerie.

Noch zögern viele EU-Staaten bei der Lieferung schwerer Waffen aus Sorge, noch tiefer in diesen Krieg hineingezogen zu werden. Doch klar ist auch eines: Ein "Nein" wird nach den Gräueln von Butscha nun unendlich schwieriger.