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Butscha: Am Ort des Horrors des Krieges

Von Thomas Seifert aus Butscha

Politik
Ukrainische Soldaten schützen den Tross von Kanzler Nehammer, der Butscha besucht.
© Thomas Seifert

Butscha ist Symbol des Widerstands der Ukraine gegen den russischen Angriff - und ein Ort russischer Kriegsverbrechen. EinLokalaugenschein.


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Asche, öliger, schmieriger Ruß bedeckt die Straße. Trümmer, Patronenhülsen. Ausgebrannte Schützenpanzer auf der Straße, ein Panzerwrack liegt grotesk mit der Schnauze auf einem zweiten. Bemerkenswert, wie schnell ein zerstörtes Panzerstahlungetüm zu einem rostigen Haufen Altmetall wird. Ein Rad des Raupenfahrwerks eines russischen Schützenpanzers auf dem Gehsteig, abgerissen von der Wucht eines Volltreffers. Der dreckige Detritus des Krieges.

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Kaum vorstellbar, dass die russischen Panzerbesatzungen dieses Inferno überlebt haben, gut möglich, dass sich mittlerweile die Asche der in den Panzern verbrannten Soldaten mit der Asche der zerschossenen Gebäude, die in dieser Straße gebrannt haben, vermengt hat. Die Jablunska ist nun ein Bild der Verwüstung; Butscha, die Stadt, durch die diese Straße führt, einst ein properer, grüner Vorort von Kiew, ist heute zum Symbol für den sinnlosen Angriffskrieg Wladimir Putins gegen die Ukraine geworden und zum Mahnmal eines Massenmords, den die russische Armee angerichtet hat.

Kanzler Nehammer beim Massengrab bei der St. Andreas- Kirche in Butscha. 21 Leichen fand man in diesem Grab, insgesamt sollen um die 150 Menschen im Garten der Kirche verscharrt worden sein.
© Thomas Seifert

Jablunska. Rydsanytsch. Iwan-Frank. Die Straßennamen wird man sich merken müssen. Die Jablunska ist jene Straße, von der die Fotos von 22 Toten stammen, die zuerst aus Butscha drangen. Die ukrainische Staatsanwaltschaft, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten sammeln die Puzzlesteine eines Kriegsverbrechens. Die Taten sind teils gut dokumentiert: Es gibt Zeugen, Handyvideos, Satellitenbilder stützen die Aussagen, zudem verfügt die ukrainische Armee über Bilder einer Aufklärungskamera, die etwa zeigen, wie ein Radfahrer erschossen wird. Die Bilder des Toten gingen später um die Welt. Warum erschießen Soldaten einen Fahrradfahrer?

Schwierige Tätersuche

Die Toten der Jablunska-Straße sollen durch die Projektile von Scharfschützen getötet worden sein. Die großen Austrittswunden bei den Leichen deuten auf Geschoße mit enormer Durchschlagskraft, wie sie in Scharfschützengewehren verwendet werden. In dieser Straße gab es offenbar auch Hinrichtungen durch russische Truppen: Wie der "Spiegel" in seiner aktuellen Coverstory berichtet, existiert ein Video mit Leichen mit auf dem Rücken gefesselten Händen, die auf dem Grundstück der Hausnummer 144 liegen. Eine Zeugin schilderte den "Spiegel"-Journalisten, dass sie die Männer am 3. März noch lebend gesehen hat. Rydsanytsch-Straße: Leiche mit Kopfschuss.

Iwan-Franko-Straße: sechs verkohlte Leichen auf einem Haufen. Orte des Massakers. So gut die Kriegsverbrechen von Butscha dokumentiert sind, so schwierig wird es werden, die Täter ausfindig zu machen. Denn die Einheiten, die für die Taten verantwortlich gemacht werden, kommen aus ganz Russland. Fallschirmjäger aus Kostroma und Rjasan, tschetschenische Milizen, Marineinfanterie und Panzergrenadiere aus dem Fernen Osten. Unklar ist, ob die Verbrechen befohlen wurden - die russische Armee hat solche Terrortaktiken im Tschetschenien-Krieg in den 1990er Jahren angewandt - oder ob die Soldaten schon zu einer undisziplinierten Soldateska verkommen waren.

© Thomas Seifert

Es mehren sich die Berichte von Vergewaltigungen, Folter, Plünderungen. Im "Spiegel" berichtet eine Bewohnerin von Butscha von ihrer Vergewaltigung und wie es ihr immerhin gelungen sei, dass ihrer 14-jährigen Tochter dieses Schicksal erspart blieb. Geld, Laptop, Wäsche - alles sei gestohlen worden. Der "Guardian" zitiert Bewohner, die berichten, dass die Soldaten völlig überrascht über den relativen Wohlstand in Butscha gewesen seien. Soldaten seien in einem gestohlenen Tesla herumgekurvt, auf den sie das "V"-Zeichen geschmiert hätten.

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Auch aus Hostomel und Irpin kommen ähnliche Aussagen. Aber es haben sich offenbar auch  russischen Soldaten in Butscha korrekt verhalten: In der "New York Times" findet sich ein Bericht, wonach es auch Einheiten gab, die die Bewohner höflich und zuvorkommend behandelten.

Butscha, die Stadt, die noch bis vor wenigen Wochen rund 42.000 Einwohner zählte, war gleich zu Beginn des Krieges am 24. Februar völlig vom russischen Angriff überrascht worden. Russische Luftlandetruppen versuchten damals beim nahegelegenen Flughafen in Hostomel anzulanden, Hubschraubergeschwader knatterten über die Stadt, auf dem Flughafen tobte eine verzweifelte Abwehrschlacht der ukrainischen Verteidiger gegen die russische Armee.

Wäre es den russischen Truppen gelungen, den Flughafen zu erobern, dann hätten sie dort ihre Basis eingerichtet. Von dort sollten dann offenbar Kommandooperationen in Kiew mit dem Ziel, die ukrainische Führung auszuschalten, ihren Ausgang nehmen. Doch die Ukrainer schafften es, die russischen Luftlandetruppen zurückzuschlagen.

Einige Tage später - am 27. Februar - trafen dann Panzerkolonnen in Butscha ein, die von Weißrussland aus in Richtung Kiew vorstoßen sollten. Sie rasselten durch die Straßen von Butscha. In der Woksalnya-Straße gelang der ukrainischen Armee ein Schlag gegen eine Kolonne von Panzern und Schützenpanzern. Der ruhige, beschauliche Vorort von Kiew war zur Kampfzone im größten Krieg auf europäischem Boden seit 1945 geworden.

Ein Massengrab

290 Einwohner der Stadt sind während der Besatzung erschossen worden, berichtete Anatolij Fedoruk, Bürgermeister von Butscha, den "Spiegel"-Journalisten. Die meisten der Bewohner konnten sich über einen ab 9. März eingerichteten humanitären Korridor in Sicherheit bringen.

In diesen Tagen ist kaum jemand auf den Straßen zu sehen, es sind vielleicht noch 3.000 Menschen in der Stadt. Am 1. April waren die russischen Truppen dann aus der Stadt verschwunden. 9. April: Andrij Halavin, Priester der St. Andreas-Kirche und der Pyervozvannoho-Allerheiligen, steht mit Oleksandr Pavliuk, dem Kommandeur des Militärdistrikts von Kiew im Hof hinter seiner Kirche. Ein Spaten steckt in der nassen Erde, hier wurde vor ein paar Tagen ein Massengrab geöffnet, in dem die Toten von Butscha von den Bewohnern notdürftig verscharrt wurden. 21 Leichen hat man bisher in dem Grab gefunden, die Bewohner befürchten, dass weitere 150 Menschen in der Erde liegen.

"Das verändert einen"

Kanzler Karl Nehammer besucht an diesem Samstag, dem 9. April, mit einer Journalistendelegation diesen Ort. Er steht am Grab, hört zu, was der Priester und der hochrangige General berichten, Nehammer sieht auch den Arm einer Leiche, die - teilweise exhumiert - aus dem Grab ragt. Russland weist jede Verantwortung zurück, spricht von Fälschungen, doch Priester Halavin erzählt Nehammer von Handyvideobeweisen, Pavliuk berichtet davon, dass Forensik-Experten in vielen Fällen nachweisen konnten, dass die Toten gezielt und teilweise aus nächster Nähe erschossen wurden und nicht einfach nur "collateral damage" des Kampfgeschehens seien.

Der Kanzler wird später, im Sonderzug von Kiew nach Wien den mitreisenden Journalisten sagen: "Für die Ereignisse in Butscha fehlt mir der Sprachschatz. Das verändert einen, auch mich, als ich heute dort war." Er betont, wie bedeutsam die Aufklärung der Kriegsverbrechen sei. Möglicherweise können einzelne Soldaten angeklagt werden, wenn es gelingt, sie zu identifizieren. Dass sie aber an den Internationalen Strafgerichtshof oder an die ukrainische Justiz ausgeliefert werden könnten, ist äußerst unwahrscheinlich.

Panzerwracks in Butscha.
© Thomas Seifert

Letztlich ist ein Mann für die Verbrechen verantwortlich: Der Mann an der Spitze der Befehlskette. Sein Name: Wladimir Putin. Er sei noch nie an einem Massengrab gestanden, sagt Nehammer, habe noch nie derartige Zerstörung gesehen. Er spricht von der Wucht des Krieges, davon, dass Butscha zeige, dass "im Krieg der Mensch dem Menschen ein Wolf ist".