Seit 1. September 2002 gibt es erstmals im gesamten österreichischen Bundesgebiet ein materiell einheitliches Vergaberecht. Wermutstropfen: Die Rechtsmittelkontrolle bleibt in der Gesetzgebungskompetenz der Länder, außerdem gilt die neue Rechtslage als unübersichtlich.
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"Das Gesetz ist zu 80 Prozent gelungen", scherzte ein bekannter Wirtschaftsanwalt beim Symposion in der Östereichischen Wirtschaftskammer letzte Woche coram publico, "und mit den restlichen 20 Prozent sichern wir unsere Pensionsvorsorge".
Dass 20 Prozent des Bundesvergabegesetz 2002 (BVergG) "nicht gelungen" sind, verdanken die Rechtsanwälte zu einem nicht unwesentlichen Teil der österreichischen Bundesverfassung: Die Novellierung des Vergaberechts war durch den Beitritt zur EU (EU-Vergabe-Richtlinien) und durch internationalen Druck erforderlich geworden. Da eine ausdrückliche Bezugnahme in der Kompetenzverteilung des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) fehlt, kam es in der Vergangenheit zu einer unübersichtlichen Zersplitterung des Vergaberechts.
Verfassungs-Wirrwarr
Am 1. Jänner 2003 trat mit Art. 14b B-VG erstmals eine explizit kompetenzrechtliche Regelung in Kraft. Danach obliegt die vergaberechtliche Gesetzgebung künftig dem Bund, die Rechtsmittelkontrolle allerdings erfolgt weiter streng föderalistisch. Die Länder behalten die Gesetzgebungskompetenz bei der Nachprüfung der Auftragsvergaben. Art. 151 Abs. 27 B-VG enthält zudem eine Übergangsbestimmung, wonach es den einzelnen Landesgesetzgebern bis zum Ablauf des 30. Juni 2003 erlaubt wird, ihre bisherige (Vergabe-)Rechtslage beizubehalten.
Eine Situation, die Kopfzerbrechen bereitet: Der Versuch EU-weiter Rechtsvereinheitlichung werde durch die "innerösterreichische Rechtszersplitterung konterkariert", bekrittelt etwa der Wiener WU-Professor Heinz-Peter Rill. Sein Ruf nach einer "Komplettlösung", mit der die öffentliche Auftragsvergabe in Gesetz und Vollziehung Bundessache wird, verhallte bisher ungehört. Die jetzige Reform scheint zumindest ein Schritt in die richtige Richtung zu sein: Seit 1. September 2002 kontrolliert das neue Bundesvergabeamt (BVA), das zuletzt mit Entscheidungen rund um den Umbau des Kleinen Festspielhauses in Salzburg oder den "Elektronischen Akt" bekannt wurde, die Auftragsvergabe.
Bereits 150 Fälle erledigt
Mit der Novelle wurde die bisherige Zahl der Senate fast verdoppelt (jetzt sind es 17), das Kanzleipersonal verdreifacht. Michael Sachs, Vorsitzender des BVA, streicht die Vorteile seiner Behörde hervor: "Wir haben heute hauptberufliche und weisungsunabhängige Senatsvorsitzende und ausreichend Personal." Das zeige, so Sachs, dass es dem Wirtschaftsminister (das BVA ist im Wirtschaftsministerium angesiedelt) mit der Vergabekontrolle ernst sei. Einer Unterstellung der Kontrollaufgaben an Zivilgerichte, wie verschiedentlich gefordert, vermag er nichts abzugewinnen.
Mit Arbeitsantritt im September habe das BVA 320 offene Fälle, mehr als ein Jahreskontingent, vorgefunden. In den letzten vier Monaten seien 80 neue Fälle dazu gekommen. "Inzwischen haben wir bereits 150 dieser 400 Fälle erledigt", freut sich Sachs, der früher im Wirtschaftsministerium, u. a. als Kabinettschef Wolfgang Schüssels, tätig war. Infolge der Flutkatastrophe, der Neuwahlen und einer insgesamt geübten Zurückhaltung bei den staatlichen Investitionen, sei der Anfall derzeit nicht so stark, erläutert Sachs im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", was sich in den nächsten Monaten allerdings "schlagartig ändern" könnte. Für das Jahr 2003 rechnet Sachs mit einer "Lawine an staatlichen Investitionen" im Ausmaß von 700 bis 800 Mill. Euro. Wenn die Lawine tatsächlich anrollt, könnte sich die legistische Sperrigkeit des BVergG noch gravierender auswirken: "Eine Behörde kann nur so gut sein, wie es ihr das Gesetz erlaubt". An die - wegen ihrer Widersprüchlichkeit inzwischen zu trauriger Berühmtheit gelangte - Bestimmung des § 188 BVergG, wo Inkrafttreten und Außerkrafttreten der Norm geregelt werden, erinnernd: "Ich frage mich schon manchmal, wie bestimmte Regelungen vollzogen werden sollen".
Unübersichtlich
Die Unübersichtlichkeit des Gesetzeswerks macht nicht nur den Mitarbeitern des BVA das Leben schwer. Schon befürchten Experten, dass sich kleine Unternehmen künftig die Teilnahme an einer Ausschreibung nicht mehr leisten könnten. Ohne kundigen Anwalt oder Unternehmensberater sei der beschwerliche Weg durch die Instanzen nicht bewältigbar.
Neben mangelnder Übersichtlichkeit des Gesetzes ist Sachs vor allem die geltende Gebührenregelung ein Dorn im Auge: "Derzeit kassiert der Finanzminister doppelt: Den pauschalisierten Gebührensatz und die individuell berechnete Gebühr." Für seine Behörde hat Sachs (Jg. 1961), der sich als gerechtigkeitsliebend und neugierig beschreibt, vor allem eines im Sinn: "Schnelle, klare Entscheidungen treffen, die vor den Höchstgerichten halten.
Neu am Vergabegesetz:
- Nicht mehr automatisch erhält der Bestbieter den Zuschlag - auch auf umweltgerechte und soziale Vergabe ist Bedacht zu nehmen
- Neuer Rechtsschutz: Einrichtung des Bundesvergabeamtes (BVA) als sonderverfassungsrechtlich abgesicherte, unabhängige, in erster und letzter Instanz entscheidende Verwaltungsbehörde. Die Bundesvergabe-Kontrollkommission (BVKK) wurde als reine Mediationsstelle konzipiert - Zuständigkeit des VwGH im gesamten Vergaberecht vorgesehen
- Erstmals besteht bundesweit ein materiell einheitliches Vergaberecht
- Vergaben im Ober- und Unterschwellenbereich (=Auftragswerte ober- bzw. unterhalb der EU-Schwellenwerte) werden vom BVergG 2002 gleichermaßen umfasst. Im Unterschwellenbereich wurden neue Arten der Vergabeverfahren eingeführt.: Elektronische Auktionen, Rahmenvereinbarungen und Direktvergaben
- Das BVergG 2002 ist nunmehr auch auf Dienstleistungskonzessionen anwendbar, wobei diese vom vergabespezifischen Rechtsschutz ausgenommen sind