Ex-Bürgermeister Boris Johnson will nun doch nicht Tory-Chef und Premier werden.|Dafür hat Justizminister Michael Gove überraschend seine Kandidatur bekanntgegeben.
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London. Neun Mal hatte Michael Gove in den vergangenen Monaten beteuert, dass er nicht das Zeug habe zum Premierminister, dass er für No.10 Downing Street "ungeeignet" sei. Dann, in der Nacht auf Donnerstag, überlegte es sich der britische Justizminister anders. Mit einem Mal war er der Richtige, hatte das Zeug zur Führung. Pech für seinen Brexit-Kompagnon Boris Johnson, dass Gove gleichzeitig in aller Öffentlichkeit Londons Ex-Mayor die Qualifikation zum Partei- und Regierungschef absprach. Mit diesem wohlgezielten Stich war es für Johnson auch schon vorbei.
Niemand hatte erwartet, dass Gove überhaupt kandidieren würde. Zuvor war er wochenlang, wie ein guter Adjutant, an Johnsons Seite gestanden. Es hieß, Johnson wolle Gove zum Finanz- oder Außenminister machen, wenn er erst einmal Regierungschef sei. "Boris" war stets als Favorit für Camerons Nachfolge gehandelt worden. Gove war seine rechte Hand, beide zusammen hatten während der Referendums-Kampage Tag für Tag zusammen unter dem Brexit-Banner verbracht. Noch am vergangenen Wochenende hatte die "Sun" vermeldet, die beiden hätten "zusammengefunden", Gove habe "neuen Respekt" für Johnson entdeckt.
Für Johnson kam die Aktion Goves wie ein Blitz aus heiterem Himmel. All diese Jahre hatte er darauf gewartet, dass Camerons Platz frei werden würde. Rechtzeitig zum Referendum stellte er sich auf die Seite der EU-Gegner, obwohl er vorher nie für einen Austritt plädiert hatte. So verlieh er der Brexit-Seite das nötige politische Gewicht und gab sich selbst eine Plattform. Nun ließ ausgerechnet sein wichtigster Verbündeter Johnson fallen, das von ihm mit ausgelöste Brexit-Beben begrub Boris unter sich. Dabei war es nicht nur Gove, der Johnsons Hoffnungen so grausam zerstörte. Schon während der Kampagne hatten viele Tories an Johnson zu zweifeln begonnen. Dessen lockere Parolen, sein Hinweggehen über offenkundige Probleme hatten seine konservativen Kollegen nicht sehr beeindruckt.
Als er sich am Montag in seiner wöchentlichen Rubrik im "Daily Telegraph" in Widersprüche verwickelte, begann sich Widerstand gegen ihn zu formieren. Johnson hatte offensichtlich keinen Plan für Austritts-Verhandlungen mit der EU und vollführte, statt Klarheit zu schaffen, rhetorische Pirouetten. So hatte er es schon früher, als Journalist und als Bürgermeister, gemacht.
Zwei Hardliner als Kandidaten
Viele Brexit-Tories fürchteten auch, dass Johnson ihr Land nicht aus der EU führen würde. Sie wollten "eine klare Linie", sich ihres Brexits sicher sein. Mehr und mehr drängten sie Gove dazu, seine früheren Dementis zu vergessen und sich gegen Johnson zu stellen. Sie würde ihm, sagten sie, dafür Rückhalt geben.
Die Stimmung kippte. Johnson-Gefolgsleute liefen am Donnerstagmorgen zu Gove über. Kurz vor Schließung der Kandidatenliste zu Mittag zog Johnson daraus die bittere Konsequenz. Er verlas das lange Regierungs-Programm, das er sich zurechtgelegt hatte, und rief nach einer neuen Führungsfigur für die Tories: "Ich kann diese Person nicht sein."
Gove hofft nun, sich als Statthalter des Brexit-Lagers die nötige Zustimmung der Fraktion und der Partei zu verschaffen. Im nun anstehenden Wettkampf steht er einer formidablen Gegnerin gegenüber. Innenministerin Theresa May gilt als die neue Favoritin in dieser Schlacht. May, die seit 2010 das Home Office leitet, hat keinerlei Zweifel an den eigenen Führungskapazitäten. "Ich bin die beste Person für den Premier-Posten", sagte sie gestern auf einer Pressekonferenz. Obwohl es noch drei andere Kandidaten gibt, wird erwartet, dass Gove und May die Sache unter sich ausmachen.
Beide sind von der Parteirechten, beide vertreten harte Positionen. In Sachen Immigration war es May, die bei einer Aktion gegen illegale Einwanderer Home-Office-Lieferwagen mit der Aufschrift "Go Home" (Geht nach Hause) durchs Land fahren ließ. Sie wehrte sich auch gegen eine großzügigere Aufnahme syrischer Flüchtlinge. Auf dem letzten Parteitag beschwor sie Immigration als Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt der Nation.
"Brexit heißt Brexit"
Justizminister Gove ist ebenfalls kein "Softie". Ein umstrittenes Plakat des Ukip-Chefs Nigel Farage, das tausende Flüchtlinge auf dem Zug durch Europa mit einer "Genug-ist-genug"-Parole koppelte, fand Gove zwar "schauderhaft". Gleichzeitig warnte er aber vor all den Türken, die sich in Kürze auf den Weg nach England machen würden. Großbritannien, meinte er, müsse keine Türen zum Kontinent offen halten. Es solle lieber "als sich selbst regierende Demokratie seinen Platz an der Seite solcher Länder wie Australien, Kanada, Neuseeland und Amerika einnehmen".
Mit Blick auf die Austritts-Verhandlungen mit der EU hat nimmt Gove die bisher radikalste Position ein. Er will sich gar nicht erst um britische Teilhabe am EU-Binnenmarkt bemühen. Handelsverträge sollen die alten Bande ersetzen - nur so halte man sich die Zuwanderer vom Leibe. Viel europäische Erfahrungen, zum Beispiel mit anderen EU-Ministern in Brüssel, hatte Gove in seiner bisherigen Karriere nicht.
May hingegen, wiewohl nach eigenem Bekunden "euroskeptisch", ist als Innenministerin gewöhnt an EU-Rummel. Sie arbeitete sechs Jahre lang als Finanz-Lobbyistin in Brüssel. Allerdings, betonte sie, sei auch für sie am Referendums-Resultat nicht zu rütteln. "Brexit bedeutet Brexit", erklärte sie. Ein "Hintertürchen", durch das man noch irgendwie den Verbleib Britanniens in der EU erreichen könne, werde es nicht geben. Neuwahlen schloss May aus. Den Austritts-Knopf will sie nicht vor Jahresende drücken.