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"Bye bye, Twitter"

Von Martyna Czarnowska

Politik

Der deutsche Grünen-Vorsitzende Robert Habeck steigt aus Online-Netzwerken aus. Das birgt für einen Politiker Risiken.


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Berlin/Wien. Ein Selfie mit Bürgern auf dem Hauptplatz, per Twitter geteilt; ein schnell geschnittener Videoclip, via Facebook verbreitet: Politiker haben die sozialen Netzwerke längst für ihre Zwecke entdeckt. Ob im Wahlkampf oder in der täglichen Arbeit versuchen sie, im Internet ihre Botschaften möglichst breit zu streuen. Und für so manchen potenziellen Wähler, vor allem unter den Jüngeren, ist dies auch das ausschlaggebende Medium, das Informationen transportiert.

Das schnelle Reagieren und Kommentieren, das etwa der Kurznachrichtendienst Twitter ermöglicht, kann aber auch seine Tücken haben. Die erforderliche Kürze kann eben zur Verkürzung führen - und immer wieder muss ein Politiker dann erklären, dass er etwas nicht so gemeint habe, wie es in wenige Worten gefasst geklungen haben möge.

Eine weitere Schattenseite der immer tiefer gehenden Online-Vernetzung in Politik und Gesellschaft zeigt sich bei jedem Hackerangriff, bei jeder Cyberattacke und bei jedem Datendiebstahl, wie bei jenem in Deutschland, der in der Vorwoche bekannt geworden ist. Dass dabei auch persönliche Angaben zu Politikern und Prominenten sowie deren Familien an die Öffentlichkeit gelangt sind, sorgt für zusätzliche Aufregung.

All das brachte nun einen deutschen Spitzenpolitiker dazu, Konsequenzen zu ziehen. Robert Habeck, Vorsitzender der Grünen, kündigte seinen Rückzug aus den bekanntesten Online-Netzwerken an. "Bye bye, Twitter und Facebook", twitterte er. Habeck ist einer der Hauptbetroffenen des groß angelegten Datendiebstahls. So soll ein Teil seiner Kommunikation mit seiner Familie veröffentlicht worden sein.

Gleichzeitig räumte der Politiker eigene Fehler ein, die er selbst online begangen hatte. Mehrmals hatte er heftige Kritik für Aussagen geerntet, die per Twitter verbreitet wurden, zuletzt für ein Video. In dem Clip zur Unterstützung der Grünen bei der kommenden Landtagswahl in Thüringen erklärte er, die Partei werde alles versuchen, damit die Region ein "offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird". Stein des Anstoßes war dabei das Wort "wird", das impliziert, Thüringen erfülle all die Eigenschaften bisher nicht.

Nachteil bei gewissen Gruppen

Am Montag und laut eigenen Angaben "nach einer schlaflosen Nacht" deklarierte Habeck, seine Konten löschen zu wollen. Twitter sei ein "sehr hartes Medium, wo spaltend und polarisierend geredet wird". Das färbe ebenso auf den Kommunizierenden ab. Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk gab der Politiker zu, dass seine Aussage auf Twitter "super bescheuert" war.

Ob sich ein Spitzenpolitiker jedoch den Abschied von den bekannten sozialen Netzwerken überhaupt leisten kann, stellen Experten in Frage. "Wer aussteigt, kapselt sich von bestimmten Zielgruppen ab", sagt etwa Josef Kalina. Im Laufe seiner Karriere hat er mit österreichischer Politik auf unterschiedliche Weise zu tun gehabt: als Journalist, als Bundesgeschäftsführer der SPÖ, als Unternehmer in der PR-Beratung und Marktforschung.

Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" verweist Kalina auf den "internationalen Trend", dass immer mehr junge Menschen über klassische Medien wie Printzeitungen nicht mehr erreicht werden, höchstens über deren Online-Inhalte. Daher habe ein Spitzenpolitiker, der sich aktiv Online-Netzwerken entzieht, einen Nachteil.

Vorschriften für alle

Ähnlich sieht dies Laura Wiesböck, Soziologin an der Universität Wien - auch wenn sie die Distanzierung des deutschen Grün-Politikers "auf symbolischer Ebene" als wirkmächtig bezeichnet. Noch immer mangle es nämlich im Umgang mit sozialen Netzwerken an Medien- und Datenkompetenz: Das Bewusstsein der Konsumenten müsste viel mehr gestärkt werden.

Allerdings sei es "auf politisch-strategischer Ebene" schwierig, nicht auf Twitter und anderen Plattformen vertreten zu sein. "Damit geht die Möglichkeit verloren, auf eine gewisse Zielgruppe einzuwirken", betont auch Wiesböck. Das Einflusspotenzial hätten übrigens zunächst in erster Linie rechtspopulistische Parteien erkannt, während es auf der linken Seite des politischen Spektrums weniger Engagement gegeben habe.

So könnte nicht Rückzug eine Antwort auf Datendiebstahl und gedankenlosen Umgang mit sozialen Medien sein, sondern Regelung und Bewusstseinsbildung. Kalina plädiert für Vorschriften, die für klassische Medien ebenfalls gelten - wie Transparenz oder Pflicht zur Gegendarstellung. Es sollte zum Beispiel nachvollziehbar sein, wer hinter einer Internetseite steht. Andernfalls sei "anonymer Diffamierung Tür und Tor geöffnet".