Moscheen in christlichen Ländern gab es schon vor 1300 Jahren.
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Wien. Auch Religionen haben ihre Narrative. Sich selbst sehen sie dabei lieber in vorteilhaftem Licht, das Schlechte suchen sie beim anderen. Gerne verweist der Islam auf seine frühe Toleranz und die Vielfalt von Religionen unter seiner Herrschaft, der er ein intolerantes Mittelalter gegenüberstellt, zu dessen finstersten Elementen die Kreuzzügler zählen. Das Christentum wiederum denkt gerne an seine friedliche Frühzeit zurück, als es sich - anders als der Islam - ohne Waffen und Eroberungszüge ausgebreitet hat. Die Geschichte ist freilich wechselvoller, betonen Ekaterini Mitsiou und Johannes Preiser-Kapeller vom Institut für Byzanzforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Die beiden Wissenschafter verweisen dabei auf einen anderen geografischen Raum, der gerne vergessen wird, nämlich das Byzantinische Reich. "Byzanz war ein Vielvölkerreich", erzählt Mitiou. "Es waren nicht nur hier Christen und dort Muslime. Ein kultureller Austausch hat stattgefunden, es gab multikulturelle Gemeinden."
Fortschrittlicher als die Schweizer Demokratie war Byzanz in gewisser Hinsicht schon vor 1300 Jahren. Damals, im Jahr 717, wurde - ohne Minarett-Votum - die erste Moschee in Konstantinopel errichtet. Dafür gab es auch einen konkreten Anlass: Den arabischen Kriegsgefangenen sollte eine Gebetsstätte zur Verfügung stehen. Auf diese religiöse Toleranz wurde aber Wert gelegt.
In einem Brief schrieb der Patriarch von Konstantinopel Nikolaos I. Mystikos an den Kalifen Al-Muqtadir in Bagdad um 922: "Die Kaiser der Römer haben von Anfang an im Hinblick auf die Kriegsgefangenen verfügt: Während sie sich bewusst sind, dass es, solange die Kämpfe andauern, ihre Pflicht ist danach zu trachten ihre Feinde zu schädigen, müssen diese aber, wenn ihre Feinde in ihre Macht fallen, so versorgt werden wie Untertanen." Deshalb habe man ihnen "geräumige Unterkünfte" zukommen lassen; "weiters ist ein Gebetsraum für den Gebrauch der Angehörigen Deines Glaubens eingerichtet".
Nicht alles war eitle Wonne. Nachdem der Langzeit-Rivale des Byzantinischen Reichs - das Sassanidenreich - im Jahr 642 gegen die Araber untergegangen war, musste auch Byzanz dem arabischen Ansturm standhalten. "Vom Anfang der Konfrontation bis ins achte Jahrhundert kämpfte es ums Überleben", berichtet Preiser-Kapeller. Unter diesen Umständen wurde damals auf beiden Seiten die Idee der Reziprozität umgesetzt. "Wir erlauben Muslimen die Ausübung ihrer Religion unter uns, umgekehrt dürfen auch Christen ihre Religion unter islamischer Herrschaft frei ausüben", fasst das Preiser-Kapeller zusammen.
Auch an anderen Episoden erkennt man die Rolle der Reziprozität: 1009 wurde die Grabeskirche vom Kalifen Al-Hakim zerstört. Davor hatten die Byzantiner die Moschee geschlossen. Aber nach dem Tod Al-Hakims wurde ein Friedensvertrag mit den Fatimiden unterzeichnet, demgemäß Christen den Islam wieder ablegen dürfen, wenn sie vorher zwangsislamisiert wurden. 1187 hat Sultan Saladin Jerusalem erobert und die allseits verhassten Kreuzfahrer wieder zurückgedrängt. Daraufhin wurde eine zweite Moschee in Konstantinopel gebaut, deren Prediger aus Ägypten kamen.
Die Araber waren später für Byzanz nicht mehr existenzbedrohend. Beide Seiten - so betont Preiser-Kapeller - waren pragmatisch, man fand einen Modus Vivendi zur Koexistenz. Den modernen Toleranz-Gedanken der Gewissensfreiheit gab es freilich nicht: Muslime unter islamischer Herrschaft, die den christlichen Glauben annahmen, wurden hingerichtet und umgekehrt. "Es gibt die einzige wahre Religion, das bleibt", sagt Mitsiou.
Preiser-Kapeller hat mit Hilfe moderner Netzwerkmodelle die Verflechtungen des Byzantinischen Reichs mit anderen Staaten im Nahen Osten untersucht. Einen wichtigen Schluss können Islam und Christentum aus dieser Zeit ziehen, erklären die Wissenschafter: Beide Religionen haben vom gegenseitigen Austausch profitiert. Beide konnten eine wichtige Rolle bei der Weitergabe von Kulturgütern spielen.
Wie es sich die Kreuzfahrer mit allen verscherzt haben
Der Gedanke des Heiligen Kriegs war Byzanz im Gegensatz zu Europa fremd. Als die Kreuzfahrer Ende des elften Jahrhunderts zum Ersten Kreuzzug aufbrachen, um Palästina von den Muslimen rückzuerobern, stießen sie "in ein politisches Vakuum vor", berichtet Preiser-Kapeller, und machten sich bei allen unbeliebt: "Sie brachten alle um: Christen, Juden, Muslime." Hasserfüllt schildert der byzantinische Historiker Niketas Choniates das Verhalten der Kreuzfahrer im Jahr 1204 bei der Eroberung Konstantinopels: "Das waren die Männer, die so viel frömmer waren als wir elenden Griechen, so viel gerechter und genauer im Befolgen der Gebote Christi. Im Namen des Kreuzes stürzten sie ruchlos das Kreuz." Geradezu "milde" seien da die Muslime bei der Eroberung Jerusalems im Jahr 1187 unter Sultan Saladin gewesen.
Die Eroberung Konstantinopels durch Kreuzfahrer habe Europas Beziehungen zu Byzanz viel nachhaltiger geschadet, als das Schisma von 1004, meint Preiser-Kapeller. Damals kamen diese "lateinischen" Christen, machten alles nieder und hatten auch für die Griechen nur Verachtung übrig, weil sie nicht kämpften. Sie waren wie ein Elefant im Porzellanladen, stießen in ein fremdes Territorium vor, in dem sie - auch aus Unkenntnis - viel zerstörten. Von wechselseitigem Verständnis aus besserer Kenntnis haben hingegen immer beide Religionen profitiert - damals wie heute.