Wachsende Zweifel an Camerons EU-Deal unter den Konservativen und den Medien.
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London. Mit allen Mitteln suchte der Regierungschef am Mittwoch im Unterhaus hadernde Parteigänger mitzuziehen und von seinem Verhandlungsergebnis zu überzeugen. Er habe eine vorzügliche Lösung für sein Land gefunden, sagte David Cameron, die es der Regierung erlaube, "für ein Großbritannien in einer reformierten EU" einzutreten. Das Vereinigte Königreich befinde sich "in der besten aller Welten", weil es über Zugang zum Binnenmarkt und eine Stimme am Top-Tisch der EU verfüge, sich gleichzeitig aber auch seinen Status als "stolzes, unabhängiges Land" erhalten könne, das "nicht Teil eines Superstaats" werde.
Bezeichnenderweise musste sich Cameron nach seiner Erklärung vor allem gegen Kritik seiner eigenen Parteigänger wehren. Auch die Labour-Opposition findet zwar die am Dienstag in Brüssel veröffentlichte Vorlage "recht dünn". Die Labour-Leute wollen aber beim kommenden EU-Referendum fast ausnahmslos zum Verbleib in der EU aufrufen - ungeachtet der Qualität des Reformpakets.
"Nur tote Kaninchen"
Im Tory-Lager, auf der Regierungsseite, entlud sich dagegen beträchtliche Frustration und Empörung. Parlaments-Veteranen wie Sir Bill Cash monierten, die Vereinbarung sei keineswegs vertraglich bindend für die EU. Andere, darunter der Tory-Abgeordnete Sir Gerald Howarth, warfen dem Premier vor, er habe "keinerlei fundamentale Reform" der EU erzielt.
Nur sehr wenige Tories stärkten Cameron den Rücken - wie der frühere Einwanderungs-Staatssekretär Damian Green, der zufrieden war, "in Europa zu sein, aber nicht von Europa ferngesteuert". Die meisten Kommentare, auch die jüngerer Tory-Parlamentarier, waren eher negativ.
Camerons Deal sei "nicht das, was die britische Bevölkerung will", versicherte etwa die Abgeordnete Anne Main. Cameron ziehe immer nur "tote Kaninchen aus dem Hut", spottete ihr Parteikollege Andrew Bridgen: "Und dann sagt er uns, es seien quicklebendige Tiger."
Einen Vorgeschmack hatte Cameron am Morgen bereits die einflussreiche Rechtspresse des Landes gegeben. So gut wie alle Tory-freundlichen Zeitungen griffen den Regierungschef auf ihren Titelseiten scharf an. Vom "Großen Täuschungsmanöver" sprach die "Daily Mail". Die "Sun" wetterte gegen "eine Farce" und fragte: "Wen glauben Sie denn hier zum Narren zu halten, Mr. Cameron?" Auch der "Daily Express" fand Camerons EU-Deal "einen schlechten Witz".
Im Streit um Zuwanderung und Sozialleistungen sei Cameron schlicht eingeknickt, klagten die Tory-Blätter unisono. Die von der EU angebotene "Notbremse" sei "bloß ein Schwindel", und die Briten hätten noch immer "keinerlei Kontrolle" über ihre eigenen Grenzen. Nur der linksliberale "Guardian", sonst der härteste Kritiker der Regierung, hatte für den Premier Erfreuliches zu berichten: "Cameron erhält Unterstützung von (Theresa) May."
May, die Innenministerin, wertete die EU-Vorlage nach kurzem Zögern nämlich als nützliche "Basis für eine Vereinbarung". Genau derselben Worte bediente sich Außenminister Philip Hammond. Im Unterhaus saßen die beiden hochrangigen Minister an Camerons Seite. In den vergangenen Monaten hatten die EU-Gegner der Tories noch gehofft, dass May sich an die Spitze der Anti-EU-Bewegung setzen würde. Das scheint nun aber nicht mehr der Fall zu sein.
Cameron tue "sein Bestes"
Selbst der Londoner Bürgermeister und ewige Cameron-Rivale Boris Johnson beschränkte sich am Mittwoch auf die Bemerkung, Cameron tue ja wohl "sein Bestes". Cameron versicherte Johnson, nationale Souveränität habe auch für ihn oberste Priorität. Vier oder fünf Kabinettsminister wollen aber für einen britischen Austritt aus der EU plädieren. Sie dürfen, aufs Referendum hin, eine von der Regierungslinie abweichende Meinung vertreten. Das hat ihnen Cameron zugestanden.
Das Referendum selbst hofft Cameron offenbar am 23. Juni abzuhalten. Zunächst muss freilich noch die Vereinbarung mit der EU unter Fach und Dach. Am Freitag reist Cameron nach Dänemark und Polen, um dort weitere Details abzuklären. Vom EU-Gipfel in Brüssel am 18. und 19. Februar würde der Brite dann gern "seinen" Deal nach Hause tragen. Gleich anschließend soll sich das Kabinett zu einer Sondersitzung treffen und der Referendums-Wahlkampf beginnen.