Lang erwartete Grundsatzrede zur EU ist für kommenden Freitag angesetzt.
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London/Wien. Winston Churchill hat seine Rede in Zürich gehalten, Margaret Thatcher die ihre in Brüssel und Tony Blair seine in Warschau: Wann immer britische Premierminister ihre wegweisenden Ansprachen zum Thema Europa hielten, taten sie das auf dem Kontinent. Nun blickt Europa auf die Niederlande, wo David Cameron am Freitag seine Grundsatzrede halten will. Dabei könnte es um nichts Geringeres als den Fortbestand des Bündnisses, wie es ist, gehen. Denn ein Referendum über einen EU-Austritt steht im Raum, den die Mehrheit der Briten fordert. Cameron selbst hat schon erklärt, dass das Vereinigte Königreich nicht kollabieren werde, wenn es die EU verlässt. Welche Auswirkungen es auf die EU haben würde, ist nur schwer abzuschätzen.
Termin der Rede verschoben
Der britische Premier befindet sich in einer Zwickmühle. Er will, salopp gesprochen, den Rausch und das Geld. Er will, dass Großbritannien in der EU - und vor allem im gemeinsamen Markt - bleibt, aber zu eigenen Bedingungen. Kompetenzen, die an Brüssel abgegeben wurden, möchte er zurückzuholen. Welche das sein sollen, hofft die EU aus der Rede am Freitag zu erfahren. Schon jetzt ist klar, dass London für sich etwa die Arbeitszeitrichtlinie ablehnt und ein Veto gegen die EU-Finanzregulierung haben will. Auch die EU-Budgetobergrenze in Höhe von mehr als einer Billion Euro für die kommenden sieben Jahre ist den Briten zu hoch.
In anderen Bereichen müssen die Briten gar nicht mehr verhandeln oder um Erlaubnis fragen: Tony Blair schlug seinerzeit eine Ausstiegsoption der Briten bei "Justiz und Innerem" - der sogenannten dritten Säule der EU - heraus. Dabei geht es beispielsweise um den Europäischen Haftbefehl und Kompetenzen des Europäischen Gerichtshofs. London bereitet hier schon seit längerem
einen systematischen Rückzug vor.
Die Wahl des Landes, in dem Cameron seine Rede halten will, fiel wohl nicht zufällig auf die Niederlande: Immerhin unterstützt sein dortiger Amtskollege Mark Rutte den Wunsch, den Staaten wieder mehr Souveränität zurückzugeben. Auch dem Zeitpunkt kam ursprünglich eine besondere Bedeutung zu: Eigentlich war sie für den 22. Jänner angesetzt - just den Tag, an dem Frankreich und Deutschland das 50-jährige Bestehen ihres Freundschaftsabkommens, des Élysée-Vertrages, feiern. Ein Kontrapunkt zu dem dominierenden Block, der die Briten systematisch überstimmt? Nach Fassungslosigkeit in Berlin und Paris wurde die Rede schließlich auf Freitag, den 18. Jänner, vorverlegt.
"In or out ist falsche Frage"
Um Brüssel zu beschwichtigen, erklärte Cameron gegenüber dem BBC-Hörfunk, dass er einem baldigen Referendum zur EU-Mitgliedschaft skeptisch gegenüberstehe. "Ein "Drinnen-oder-draußen-Referendum würde zu diesem Zeitpunkt nicht die "richtige Antwort bringen", da es nicht die richtige Frage stellen würde, sagte Cameron am Montag. Sein Plan ist es, einen Teil der EU-Verträge neu zu verhandeln und dann das Volk über diese abstimmen zu lassen. Doch ob ihm das die Briten noch einmal abkaufen? Nach seiner Wahl zum Premierminister hat Cameron das im Wahlkampf versprochene Referendum über den Lissabonvertrag still und heimlich begraben. Nun, da sogar ein Austritts-Referendum möglich scheint, ist es fraglich, ob die Briten mit Camerons Vorschlag leben können.
Gleichzeitig haben Berlin und Brüssel bereits signalisiert, dass eine Neuverhandlung von Verträgen der Öffnung der Büchse der Pandora gleichkomme. Dann nämlich würde wohl jedes Mitgliedsland Sonderregelungen für sich beanspruchen.
Genau genommen ist es David Cameron selbst, der Großbritannien noch in der EU hält. Zwei Drittel der Briten fordern ein EU-Referendum. 56 Prozent würden für den Austritt stimmen. Auch ein konservativer Block von Tory-Abgeordneten übt hier intern Druck auf ihn aus. Je mehr sich der Premier auf dem Gebiet zurückhält, umso mehr riskiert er die politische Zukunft von sich und seiner Partei. Denn die Partei der EU-Gegner, die UKIP (United Kingdom Independence Party), ist laut Umfragen bereits die drittstärkste im Land. Es ist schon ein gehöriger Eiertanz, der da auf Cameron am Freitag zukommt: Er muss versuchen, dass ihm ein Spagat zwischen Europaskeptikern und Europabefürwortern glückt.