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Camp David -Gipfel der Verzweiflung

Von Eva Zitterbart/Jerusalem

Politik

Jerusalem - In Camp David sollen die Geister der Nahost-Friedenspioniere Begin und Sadat beschworen werden. Aber der wichtigste Geist, um Frieden zu machen, fehlt: gegenseitiges Vertrauen. Arafat und Barak verhandeln aus scheinbar fest zementierten "Roten Linien"- Gräben


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Die Szene war nicht untypisch für die Knesset: Unmittelbar nach der Abstimmung über das von der Oppositionspartei Likud eingebrachte Misstrauensvotum gegen Premierminister Ehud Barak wegen seines Programms für die Friedensverhandlungen brach das Chaos aus. Die Abgeordneten schrien durcheinander, brüllten einander an, drohten mit Gesten und der Vorsitzende blätterte eifrig in den Regulativen, um eine Antwort zu finden. Der arabische Abgeordnete Asmi Bischara hatte während der namentlichen Abstimmung seine Entscheidung von "Enthaltung" in "dagegen" abgeändert. Am Endergebnis konnten beide Voten nichts ändern: Ehud Barak bekam von den 113 anwesenden Abgeordneten nur 52 Stimmen des Vertrauens, 54 Abgeordnete sprachen ihm ihr Misstrauen aus, sieben enthielten sich der Stimme. Das Misstrauensvotum war gescheitert. Es hätte 61 Stimmen, eine mehr als die Hälfte aller Abgeordneten gebraucht. Klar war aber auch, was Bischara später formulierte: Ehud Barak hat nicht die Mehrheit der Knesset hinter sich, wenn er sich in Camp David mit Bill Clinton und Yasser Arafat an den Verhandlungstisch setzt.

Generale: Frieden bringen

Wenig später wurde Barak zeremoniell auf dem Flughafen verabschiedet. Viele ehemalige Generale der Armee waren gekommen. 28 von ihnen hatten Barak eine spontane Botschaft übermittelt: er möge Frieden zurückbringen.

Frieden - das ist das Ziel der Verhandlungen in Camp David. Niemand kann ernsthaft glauben, dass in den acht Tagen, die der amerikanische Präsident für die Verhandlungen in seinem Terminkalender freigeräumt hat, der nun 52 Jahre andauernde Konflikt gelöst werden würde. Angepeilt wird ein von beiden Seiten akzeptiertes Abkommen, in dem zumindest Grundlinien und Zeitpläne für die endgültigen Regelungen der strittigen Fragen festgelegt sind. Eine maximale Lösung ist kaum denkbar angesichts der Ausgangspositionen, von denen beide Seiten behaupten, dass sie unaufgebbar seien.

Die Friedensverhandlungen von Camp David finden statt im Schatten von anhaltenden Drohungen. Die schlimmste, dass im Falle des Abbruchs der Verhandlungen ohne Ergebnis eine zweite Intifada ausbrechen oder Israel nach der Ausrufung eines palästinensischen Staates Teile des Westjordanlandes annektieren könnte. In beiden Fällen ist mit Gewalt bis hin zum Ausbruch eines neuerlichen Nahostkrieges zu rechnen. Die Lage im Nahen Osten ist an einem kritischen Punkt angelangt, an dem es entweder gelingt, die Voraussetzungen für einen Aufbruch in eine wirtschaftlich und gesellschaftlich prosperierende Zukunft zu schaffen, oder in jene Zeiten zurückzufallen, in denen ein modernisiertes Faustrecht wechselnde Vorherrschaft einrichtet.

Die Probleme des Nahen Ostens sind typisch für die Phase der Entstehung von Nationalstaaten und waren in Europa im 18. Und 19. Jahrhundert nicht anders. Die Tatsache, dass alle Länder des Nahen Ostens sich nicht auf alte staatliche Gebilde berufen können, sondern nach dem Zusammenbruch der Kolonialherrschaft ziemlich willkürlich und von außen etabliert worden sind, darf nicht vergessen werden. Alle diese Nahost-Staaten sitzen unsichtbar mit am Tisch in Camp David.

Der Libanon hat nach dem Abzug Israels aus der sogenannten Sicherheitszone keinen Vorwand mehr, das syrische Oktroy zu akzeptieren. Die möglichen Veränderungen bergen aber den Kern eines neuen Bürgerkrieges in sich. Die kommenden Wahlen werden zeigen, was Syrien erlaubt. Syrien selbst wird unter seinem neuen Präsidenten neue Positionen beziehen. Bis jetzt deutet vieles darauf hin, dass Bashar Assad das Land für moderne Wirtschaft und eine vorsichtige Demokratisierung öffnen wird.

In Jordanien herrscht ebenfalls einer der "Söhne", die im Westen erzogen worden sind. Abdallah braucht die Fähigkeit, die Dialektik zwischen der beduinischen Tradition der Jordanier und Erfordernissen eines modernen Staatswesens in Realpolitik umzusetzen und zugleich eine ethnische Balance zwischen Jordaniern und Palästinensern zu halten. Schon jetzt sind die Palästinenser zahlenmäßig in der Mehrheit.

In Ägypten steht mit Hosni Mubarak ein Präsident an der Spitze des Staates, der die Konflikte zwischen einer zunehmend religiös radikalisierten Bevölkerungsgruppe und einer dünnen Schicht von westlich orientierten Modernisierern gerade noch überbrücken kann. Die Stärke des Landes besteht in seiner Größe, seine Bedeutung für den Nahen Osten im Gegengewicht zum Iran. Die Palästinenser haben sich in den letzten Jahren verstärkt Ägypten als Schutzmacht herangezogen. Für den entstehenden Staat Palästina geht das soweit, dass Angehörige der Autonomieverwaltung für den Konfliktfall mit Israel nach der Staatsgründung die ägyptische Armee als automatische palästinensische Militärreserve kalkulieren.

Palästina heute ist Yasser Arafats Land. Die Palästinenser, wenn sie sich geschützt äußern können, stellen die demokratischen Grundlagen sowohl der Autonomieverwaltung als auch des entstehenden Staates klar in Abrede. Solange Arafat lebe, würden die herrschenden autokratischen Strukturen mit Willkürmaßnahmen gegen politische Gegner bis hin zu "kurzen Prozessen", die mit Hinrichtungen enden, anhalten. Arafat ist freilich der einzige, der eine Staatsgründung trotz der verfeindeten politischen Gruppen zustande bringen wird. Und muss. Arafat hat nicht mehr viel Zeit, persönlich und politisch nicht. Bricht er nochmals die zeitliche Ziellinie, den Staat noch in diesem Jahr zu proklamieren, verliert er das ohnehin schwindende Vertrauen der Menschen in ihn.

Palästinenser haben wenig Hoffnung

Die Hoffnungen der Palästinenser auf einen Erfolg in Camp David sind gering. Nichts zeigt das deutlicher als ihre Hamsterkäufe an Wasser, Benzin und Lebensmitteln für den Notfall. Der Notfall ist ein befürchteter militärischer Konflikt mit Israel nach Scheitern der Verhandlungen und einseitiger Unabhängigkeitserklärung.

Israel ist, oft zitiert, die einzige Demokratie im Nahen Osten. Israel ist auch die wirtschaftliche Großmacht des Nahen Ostens. Es verfügt über einen der wesentlichen Rohstoffe für die Region: Wasser. Und es verfügt über ein enormes Kapital an "braincraft". Die Einwanderer aus den verschiedensten Teilen der Welt, nicht zuletzt aus der ehemaligen Sowjetunion haben Israels Position als drittstärkstes Land bezüglich High Tech Entwicklung bedeutend verbessert. Israels ist der wichtigste Verbündete der USA in der Region und prosperiert aufgrund ausgiebiger amerikanischer Finanzhilfe für Verteidigung ebenso wie für die Wirtschaftsentwicklung. Israels Wirtschaft kann der bewegende Faktor für eine Modernisierung der Wirtschaft der umliegenden Länder im Nahen Osten werden - oder seine Dominanz nachteilig für die anderen halten.

Die Regierung Clinton hat so viel für den Nahen Osten und eine friedliche Entwicklung getan wie keine andere amerikanische Regierung zuvor. Der Friede kostet Geld und die USA bezahlen einen Großteil der Rechnungen für diesen Frieden. Auch die Verhandlungsrunde in Camp David wird unter anderem durch Finanzierungszusagen der USA bestimmt werden. Das sind Investitionen in eine strategische Basis der USA in der Region.

Aber Bill Clinton braucht den Erfolg in Camp David auch für die persönliche Geschichte. Scheitert er in Camp David, bleiben andere, weniger ruhmreiche Schlagzeilen aus seiner Amtszeit der Nachwelt in Erinnerung.

Möglichkeiten zu scheitern gibt es viele bei diesem Gipfel, dem man in Anlehnung an ein Wort aus der österreichischen Geschichte auch den Gipfel, den fast keiner wollte, nennen könnte. Ehud Barak, der sich zum Ziel gesetzt hat, so viele Friedensabkommen wie nur möglich in seiner Amtszeit zu schließen, um Israel aus seiner ständigen Alarmbereitschaft herauszubringen, ist der einzige, der zu diesem Zeitpunkt darauf drängte. Motiv ist seine labile innenpolitische Position und Yasser Arafats Ultimatum, am 13. September einseitig einen unabhängigen Staat Palästina auszurufen, der Israel unweigerlich in eine militärische Konfrontation hineinzwingen würde.

Einer der heikelsten Punkt in den Verhandlungen ist der Religionskonflikt. Jerusalem als Hauptstadt ist nicht nur eine Prestigefrage. Jerusalem als Hauptstadt ist ein Thema, das geeignet ist, Märtyrer auf beiden Seiten zu schaffen. Für die jüdische Religion ist es die spirituelle Ausrichtung über zweitausend Jahre Exil gewesen, die den kulturellen Zusammenhalt des Judentums bestimmt hat. Und in Jerusalem wiederum ist der Tempelberg der kritische Ort. Die Altstadt als Teil Ostjerusalems in palästinensische Hand zu übergeben, entspricht aus religiöser Sicht einer neuerlichen Exilierung. Für die Palästinenser bedeutet die Hoheit über Ostjerusalem und damit den Tempelberg ihre Position in der arabischen Welt. Wenn auch nur das drittwichtigste Heiligtum des Islam, so bedeutet der Verbleib der Al Aksa Moschee in israelischer Hand einen enormen Verlust. Noch dazu steht die Moschee sowohl für Juden auf dem Platz des ehemaligen Tempels, also heiligem jüdischem Boden, als auch für Christen an einem Ort, wo Jesus gewirkt hat. Religionen sind logischen Argumenten schwer zugänglich. Hier braucht es sogenannte kreative Lösungsvorschläge.

Soziale Spannungen

Die nächste Bombe liegt in den sozialen Spannungen. In 52 Jahren ist die Zahl der Flüchtlinge aus Israel und ihrer Nachkommen, die vor allem in den Nachbarländern leben, auf Millionen angewachsen. Außer in Jordanien sind sie kaum integriert. Das Leben in übervölkerten Flüchtlingslagern macht aufgeschlossen für allerlei radikale politische Bewegungen, die auch von den Gastländern als Bedrohung empfunden werden.

Die Arbeitslosigkeit unter den Palästinensern ist hoch. De facto sind auch die in den autonomen Gebieten lebenden Palästinenser vom israelischen Arbeitsmarkt abhängig. Die Autonomieverwaltung gibt derzeit eine Arbeitslosenrate von nur 10,6 Prozent an. Tatsächlich ist ein Großteil der Arbeitenden in die öffentliche Verwaltung aufgenommen worden, ein nicht unbeträchtlicher Teil in die paramilitärischen Polizeieinheiten. Die palästinensischen Polizeikräfte umfassen derzeit rund 40.000 Mann.

Zu wenig Ausbildung

Die produktive Wirtschaft ist minimal. Es gibt zuwenig Ausbildungsmaßnahmen. Das Bildungssystem ist im Aufbau, hat aber eine starke ideologisierende Komponente. Das beginnt schon in den Schulbüchern der Grundschulklassen. Die Negierung Israels und seiner Existenzberechtigung sowie die alleinige Darstellung der Israelis und Juden als brutale Unterdrücker fördert nicht die Bereitschaft zu friedlicher Koexistenz.

In Camp David wird auch über wirtschaftliche Kooperation geredet werden müssen. Ein erster Schritt wird zur Zeit getan mit der Ausarbeitung einer Freihandelszone zwischen Israel und den autonomen Gebieten. Fachleute stellen fest, dass das nur wirklich wirksam werden kann, wenn die beiden wirtschaftlichen Einheiten klar durch Grenzen getrennt sind.

Die Bedeutung des Rohstoffs Wasser in der Region kann von Europa aus leicht unterschätzt werden. Dienstag gab das israelische Umweltministerium bekannt, dass die Trinkwasserreserven bloss drei bis vier Monaten reichen. In Gaza gibt es derzeit alle sechs Stunden eine Stunde lang Wasser aus den Leitungen. Wasserwiederaufbereitungsanlagen und Anlagen zur Entsalzung des Meerwassers vor allem für industriellen und landwirtschaftlichen Bedarf sind unverzichtbar in der Zukunft.

Kampf um Trinkwasserreserven

Die Kontrolle über die natürlichen Trinkwasserreserven wird einer der kritischen Punkte in Camp David sein. Die Überlassung eines Teils des Jordantals bedeutet für Israel nicht nur die potentielle Bedrohung durch eine "fremde Armee" westlich des Jordans, sondern vor allem auch die Aufgabe der Kontrolle über die Trinkwasserquelle Jordan oberhalb des Toten Meeres und damit die Gefährdung der Wasserversorgung Jerusalems und der umliegenden bevölkerungsreichen Siedlungen. Andererseits brauchen die Palästinenser dringend eine Zugang zu den Wasserreserven, weil sie schon jetzt im Vergleich mit den Israelis rund zwei Drittel weniger Wassers zur Verfügung haben.

Angesichts der vorhandenen Raum- und Rohstoffreserven ist das Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge ein existentielles Problem für die Israelis. Tatsächlich gehört das Gebiet des ehemaligen britischen Palästina zu den schon heute dichtest besiedelten Gebieten der Erde. Die Zuwanderung von einigen Millionen Menschen bei gleichzeitig anhaltendem natürlichem Bevölkerungswachstum scheint kaum verkraftbar. Die Israelis begründen die Verankerung des generellen Einwanderungsrechts für Juden nach Israel mit der Bedrohung des jüdischen Volkes in Europa vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus und anhaltender Verfolgung in der Gegenwart. Eine solche Bedrohung wird für die Palästinenser nicht gesehen.

Die kritischen Punkte der Verhandlungen in Camp David scheinen kaum lösbar, vor allem nicht unter dem enormen Zeitdruck. Die Erwartungshaltung der Israelis ebenso wie der Palästinenser ist dementsprechend gering. Neuesten Meinungsumfragen zufolge sind zwar 52% der Israelis dafür, dass Barak verhandelt, und nur 45% dagegen. An einen Erfolg glauben aber wesentlich weniger Menschen. Das gleiche gilt für die Palästinenser. Sie wollen zwar nicht länger von hypernervösen israelischen Soldaten, die Siedlungen im autonomen Gebiet bewachen, bedroht werden, aber sie sind auch nicht optimistisch bezüglich ihrere eigenen Führer.

In Camp David wird nicht der endgültige Frieden beschlossen werden. Aber jeder Schritt vorwärts, jedes Abkommen, das Richtung endgültigen Frieden formuliert ist, ist sinnvoll. Die Alternative heißt Gewalt, Blut, Krieg.