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Cannabis - die überschätzte Substanz

Von Matthias G. Bernold

Politik

Mit einem Expertenpapier zum Thema Cannabis wagt sich die Österreichische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (ÖGPP) auf politisch hochbrisantes Terrain. Die Empfehlungen der Wissenschaftler an die Politik: Besitz von Cannabis-Produkten künftig nur noch mit Verwaltungsstrafen zu bedrohen und die Freigabe der Substanz für medizinische Zwecke.


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Wie gefährlich ist Cannabis? Wie bewähren sich Cannabis und seine Inhaltsstoffe bei medizinischen Indikationen? Welche Rolle spielt das Parade-Suchtmittel der Hippie-Generation in unserer heutigen Gesellschaft? Und wie soll der Umgang mit der Droge sanktioniert werden?

Diesen Fragen gingen die Wissenschaftler der ÖGPP auf den Grund, auch wie sie sagen, um "endlich einen Diskurs auf Ebene der Fakten anstatt auf einer Ebene der Gefühle" zu führen. Im Expertenpapier fassen die Wissenschaftler nicht nur alle - sich mitunter widersprechenden - medizinische Studien der letzten Jahre zusammen, sondern beleuchten die Droge auch vor dem Hintergrund geänderter gesellschaftlicher Verhältnisse. "Cannabis ist längst nicht mehr die Droge der Sex, Drugs and Rock'n'Roll-Generation und hat auch jede politische Bedeutung verloren", erklärt Wolfgang Fleischhacker, Studienautor und Professor an der Universitätsklinik für Psychiatrie in Innsbruck. Kiffen sei längst kein Randgruppenphänomen mehr: "Studien belegen, dass die Hälfte aller Jugendlichen bis 25 Jahren Cannabis schon einmal probiert hat," erläutert Fleischhacker. Unter den Jungen werde Cannabis heutzutage als Genussmittel wie Nikotin oder Alkohol gesehen - "ein Genussmittel freilich, bei dem nicht der Geschmack sondern die psychoaktive Wirkung im Vordergrund steht", erläutert Fleischhacker.

Die weite gesellschaftliche Akzeptanz der Droge ist die eine Seite - Gesundheitsrisken die andere. Ein Faktum, das sich den Wissenschaftlern in der Studie gezeigt hat, ist, "dass Gras heute zehn mal so viel psychoaktive Anteile enthält wie in den 60er- und 70er-Jahren".

Wie schädlich also ist Cannabis?

"Es gibt 10.000 Nikotin-Tote, 2.500 Alokohol-Tote und einige hundert Heroin-Tote im Jahr - Cannabis-Toter ist hingegen kein einziger bekannt", erläutert Fleischhacker auf Frage der "Wiener Zeitung", "Killer Nummer Eins sind die legalen Substanzen". Nichtsdestotrotz ist Cannabis nicht ungefährlich.

n Gewöhnung und Abhängigkeit: Laut den Autoren des Expertenpapiers "wie bei jeder Droge" möglich. Ein Prozent der Cannabis-Konsumenten wird süchtig, "wobei es sich in erster Linie um eine psychische und nicht um eine körperliche Abhängigkeit handelt". Das Risiko abhängig zu werden, entspricht dem äquivalenten Risiko der Alkoholabhängigkeit und liegt unter dem von Zigaretten.

n Wissenschaftlich belegt ist das erhöhte Risiko des Auftretens von Angst- oder Panikzuständen, vor allem unerfahrenen Benützern, verschlechterte Aufmerksamkeit und Erinnerungsvermögen, erhöhtes Risiko psychotischer Symptome bei jenen, die aufgrund ihrer persönlichen oder familiärem Krankheitsgeschichte dazu neigen.

n Verhalten im Straßenverkehr: Wie die Autoren betonen, tappen die Forscher hier im Dunkeln. Was nicht zuletzt daran liegt, dass zuverlässige Aussagen über die Häufigkeit von Fahrten unter Drogeneinfluss fehlen. Das Expertenpapier zitiert allerdings Schätzungen, wonach annähernd gleich viele Personen beim Lenken eines Kfz unter Cannabis-Einwirkung stehen wie unter Alkoholeinfluss.

Aufgrund von sogenannten Verursacheranalysen und Laboruntersuchungen soll sich das Risiko bei Cannabis in niedrigen Konzentrationen - "wahrscheinlich infolge der besonderen Vorsicht der Konsumenten" - verringern. Allerdings erhöht sich das Unfallrisiko wieder erheblich, wenn Cannabis in hohen Mengen oder in Kombination mit Alkohol konsumiert wird.

n Cannabis als Einstiegsdroge: Dass Cannabis eine Einstiegsdroge für härtere Drogen ist, "kann man schon lange nicht mehr sagen", erklärt Univ.-Prof. Reinhard Haller, ebenfalls aus Innsbruck, allerdings sei Cannabis als "Schrittmacher für die Einnahme anderer Drogen zu werten". Etwa so, erklärt Haller, wie kaum jemand hochprozentigen Alkohol trinken wird, der nicht schon einmal Bier oder Wein getrunken hat." Nicht jeder, der einmal einen Joint inhaliert, greift auch zu härteren Drogen.

n Cannabis als Medikament: "Wie jede Droge hat auch Cannabis Heilwirkungen", erklärt Haller, der kein Problem damit hat, die Substanz in der Medizin einzusetzen. "Wir setzen derartig wirksame Medikamente ein, dass bei Cannabis, einer relativ leichten Substanz so ein Theater gemacht wird, ist nicht einzusehen." Allerdings verweist der Mediziner darauf, dass Cannabis "in keinem Bereich jene Wirkung erzielt wie bereits zugelassene Medikamente". Die Studienautoren appellieren dennoch, genügend Mittel zur Cannabis-Forschung und zur Entwicklung THC-hältiger Medikamente zur Verfügung zu stellen.

Was den Umgang mit Cannabis-Konsumenten angeht, machen sich die ÖGPP-Experten dafür stark, an der Politik "Therapie statt Strafe festzuhalten". Nachsatz: für jene, die eine Therapie brauchen. Gesetzestechnisch brauche es flexiblere Lösungen, "wir können nicht die Hälfte aller Jugendlichen kriminalisieren". Anstelle den Gelegenheitskonsum strafrechtlich zu verfolgen, wünschen sich die Experten eine Hinwendung zum Opportunitätsgrundsatz nach niederländischem Vorbild, um den Behörden mehr Spielraum zu geben, Anzeigen zurückzulegen.

Als Alternative sollte der Konsum von Cannabis lediglich mit einer Verwaltungsstrafe bedroht sein. Fleischhacker: "Etwa so wie Falschparken oder Schnellfahren."

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Wissen

Cannabinoide sind eine komplexe Mischung psychoaktiver Substanzen, deren Hauptbestandteil, das THC (Delta-9-tetrahydrocannabinol), aus der weiblichen Hanfpflanze (Cannabis sativa) gewonnen wird. Dabei kann der THC-Gehalt bei herkömmlichen Marihuana zwischen 0,5 bis 5 Prozent liegen. Bei Haschisch, das aus getrocknetem Harz sowie aus gepressten Blüten hergestellt wird, liegt der Anteil zwischen 2 und 20 Prozent. Haschischöl, eine besonders konzentrierte Cannabiszubereitung, enthält bis zu 50 Prozent des psychoaktiven Bestandteils. Die psychische Wirkung ist dosisabhängig, setzt beim Rauchen nach wenigen Minuten ein und dauert bis zu vier Stunden.

Cannabis in der Medizin

Die schmerzhemmende Wirkung von Cannabis wurde nach klinisch kontrollierten Studien eindeutig nachgewiesen. Zwar versprechen die vielfältigen Wirkungen von Cannabis auf den ersten Blick viele Anwendungsmöglickeiten, Nebenwirkungen wie Denk- und Bewegungsstörungen und eine Beschleunigung der Herzfrequenz sowie das Suchtpotential relativieren jedoch die Argumente für einen medizinischen Einsatz.

Chemische Abwandlungen, die die Nebenwirkungen von Cannabis einzugrenzen versuchen, erlauben in der Zukunft möglicherweise eine gezielte therapeutische Anwendung. Erste Erfahrungen diesbezüglich werden in Österreich mittels Suchtgiftrezept verschriebenen Dronabinol (aus Cannabis extrahiertes reines THC) gesammelt.

Bereits jetzt sind in Österreich einige Medikamente, die synthetisch hergestelltes THC enthalten, erhältlich. Der Wiener Allgemeinmediziner Dr. Kurt Blass behandelt laut eigenen Angaben seit Jahren erfolgreich Patienten mit diesen Pharmazeutika. In England sind diese Medikamente teilweise bereits seit Jahrzehnten zugelassen - die Zulassung in Österreich gestaltete sich zumeist schwierig und scheiterte meist aufgrund der Formulierung des Suchtgiftgesetzes.