Rom · Nachdem Italiens Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro angesichts des bevorstehenden Europawahlkampfes angekündigt hatte, er werde sein Mandat, das eigentlich erst im Mai auslaufen | würde, vorzeitig beenden, steht Italien nach dem Wahlrechtsreferendum vom Wochenende in dieser Woche ein zweiter innenpolitischer Höhepunkt bevor: Die Wahl eines neuen Staatsoberhauptes. So wie die | Dinge derzeit liegen, läuft es sich auf einen Zweikampf zwischen der radikalen EU-Kommissarin Emma Bonino und dem amtierenden Finanzminister Carlo Azeglio Ciampi hinaus, wobei Ciampi die besseren | Chancen eingeräumt werden.
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Der Präsident wird in Italien von beiden Häusern des Parlaments und Vertretern der Regionen gewählt.
Ciampi ist der Kandidat der größten Regierungspartei, der demokratischen Linken. Als laizistischer Politiker mit katholischem Hintergrund ist er aber kein Parteikandidat. Der am 20. Dezember 1920 in
Leghorn geborene, in Livorno aufgewachsene Ciampi, der in Pisa Literatur, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften studierte, verbrachte sein berufliches Leben von 1946 bis 1993 in der italienischen
Notenbank, deren Generaldirektor er 1978 wurde. 1993, als sich Italiens Parteienlandschaft angesichts ungeheurer Bestechungsskandale innerhalb weniger Monate auflöste, wurde er von Präsident Scalfaro
mit der Leitung der Regierung betraut, die er bis zu den Neuwahlen im März 1994 führte, die der Parteienkoalition um Silvio Berlusconi kurzfristig zur Macht verhalfen. Unter Romano Prodi wurde er
1996 in der Mitte-Linksregierung Finanzminister.
Emma Bonino, die sympathische EU-Kommisarin aus den Reihen der kleinen Radikalen Partei würde bei Volkswahlen wahrscheinlich die nächste Präsidentin Italiens sein. Die 51-jährige, die sich in der
Vergangenheit militant für die Rechte der Frauen auf Abtreibung und für die Einführung der Ehescheidung eingesetzt hat, gilt paradoxerweise eher als Kandidatin der Rechten, seit ihr
Parteichef Marco Panella den Schwenk zu Berlusconi vollzogen hat. Für sie gibt es eine breite Kampagne amerikanischen Stils. Zu ihren Unterstützerinnen zählen so prominente Persönlichkeiten, wie die
Schauspielerin Claudia Cardinale, Dario Fos Schauspielergattin Franca Rame, die Regisseurin Liliana Cavani, der Nestor der italienischen Publizistik Indro Montanelli und die Nobelpreisträgerin Rita
Levi Montalcini.
Die Italienische Frauenverbände boykottieren hingegen Boninos Kandidatur. Der linksorientierte Frauenverband "Emily", der sich im Rahmen der Demokratischen Linken (DS, Italiens stärkste
Regierungspartei) für die Förderung der Frauen in der Politik einsetzt, sprach sich gegen die Kandidatur Boninos aus. Mit ihrer Kampagne gegen die Macht der Parteien im italienischen Politik-System
könne Bonino niemals eine neutrale Staatspräsidentin sein, wie es die Verfassung fordert, betonten die Verantwortlichen des Verbands. Wirtschaftsminister Carlo Azeglio Ciampi sei für den
einflußreichen Posten deutlich geeigneter.
Vermutlich wird es in den ersten drei Wahlgängen, wo eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, keine Entscheidung geben. Von den bisherigen neun Staatspräsidenten, wurden nur der erste, Enrico De
Nicola 1947 und Francesco Cossiga 1985 im ersten Wahlgang gewählt. Je vier Wahlgänge benötigten der Liberale Luigi Einaudi (1948) und der Christdemokrat Giovanni Gronchi (1955). Im neunten
Wahlgang wurde der Christdemokrat Antonio Segni im Jahr 1962 gewählt. Amtsinhaber Scalfaro (DC) wurde 1992 wie der beliebte Sandro Pertini (Sozialist (1978) im 16. Wahlgang gekürt. Mehr Wahlgänge gab
es nur 1964 und 1971, wo sich der Sozialdemokrat Giuseppe Saragat, bzw. der Christdemokrat Giovanni Leone erst im 21. bzw. 23. Wahlgang durchsetzen konnten.
Pertini und Scalfaro waren übrigens, wie jetzt Emma Bonino, vom Radikalenchef Panella vorgeschlagen worden.