Ergänzende Überlegungen zur aktuellen Debatte über das Carsharing in Wien.
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Formen des geteilten Nutzens von Fahrzeugen wie Carsharing und Carpooling sind eine erfolgsversprechende Idee für weniger Autoverkehrsbelastung in Städten mit vielfältigen Mobilitätsangeboten.
Warum sind sie noch unter der Wahrnehmungsgrenze? Eine schnelle Abschätzung: Pro Tag legen die Wiener etwa 1,15 Millionen Fahrten im Pkw zurück. Das entsprach 2011 einem Anteil von 29 Prozent an den Wegen mit allen Verkehrsmitteln. In Summe haben die beiden kommerziellen Anbietern rund 630 Carsharing-Pkw über Wien verteilt. Nehmen wir optimistisch an, dass jeder Carsharing-Pkw täglich von drei Fahrern benützt würde. Das macht sechs Fahrten pro Auto und Tag, in Summe 3780 Fahrten. Gemessen an der Gesamtfahrtenzahl sind das 3,3 Promille. Noch ist die Anzahl dieser Fahrzeuge im öffentlichen Raum zu gering, um Autofahrern als verlässliche Alternative ins Auge zu fallen.
Carsharing steckt in einer Henne-Ei-Situation ähnlich wie die E-Mobilität, wo Kunden und Anbieter in gegenseitiger Lauerstellung verharren. Komplexe Systeme wie der Personenverkehr sind durch nichtlineares Verhalten gekennzeichnet. Erreicht eine Vielzahl ökonomischer und sozialer Parameter bestimmte Konstellationen, die vorab meist unbekannt sind, so können nahezu sprunghafte Änderungen eintreten. Dies zeigt sich etwa beim Radverkehr in Wien, bei dem 2012 nach Jahren der Wachstumsstagnation erste deutliche Zunahmen verbucht werden konnten. Bei der E-Mobilität war es in den vergangenen zwei Jahrzehnten ähnlich. Noch bis nach 2000 haben die Automobilhersteller ihre Elektrofahrzeuge lediglich als Studien produziert oder erfolgsversprechende Kleinserien wieder vom Markt gezogen und eingestampft.
Formen des Autoteilens sind schon auch deswegen ein Zukunftskonzept, weil sich gezeigt hat, dass langjährige Carsharing-Nutzer ihr Mobilitätsverhalten ändern. So gehen ihre Fahrkilometer im Lauf der Zeit zurück und damit auch der Treibstoffverbrauch, eine Ökologisierung des Verhaltens gegenüber dem Autobesitz tritt somit ein.
Eine Gefahr birgt das Carsharing aber. Der Rad- und der öffentliche Verkehr, die mit dem Platz ökonomischer umgehen, können als Alternativen zum Auto unter Druck kommen, wenn in ihrer Entscheidung schwankende Menschen ohne Auto sich dann für Carsharing und gegen Rad und Öffis entscheiden.
Stadtregierung und Bezirksvertretungen sollten Rahmenbedingungen überlegen, die diese Gefahrenmomente beachten und entschärfen - vor allem die Stellplatzpolitik auf öffentlichem und privatem Grund. Laut Wiener Bauordnung kann für Gebäude die verpflichtende Errichtung von Autostellplätzen um bis zu 90 Prozent reduziert werden. Und 10 Prozent der tatsächlich verordneten Autostellplätze können gegen je 6 Radstellplätze eingetauscht werden. Bauträgern sollte dies dringend schmackhaft gemacht werden, damit aus Pilotprojekten der Regelfall wird. Den verkehrspolitischen Zielen unangepasste Bauvorhaben, die Autostellplätze ohne Ausnutzen der Reduktionsmöglichkeiten forcieren, stimulieren nur privaten Autobesitz und nicht intelligente Autonutzung mit mehreren Personen.