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Carsharing und Stalin

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik

Junge Politiker sollen bei der Kommunistischen Partei Russlands für frischen Wind sorgen. Doch wie modern kann die Nachfolgeorganisation der KPdSU wirklich werden? Eine Spurensuche.


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Moskau. Nicht Fünfjahrespläne oder Kolchosen werden den Sozialismus in Russland retten, sagt Andrej Klytschkow. Sondern Carsharing und Coworking. Klytschkow, schmal geschnittener Anzug und lockerer Seitenscheitel, steht in einem Kellerlokal im Stadtzentrum von Moskau. "Die rote Avantgarde", steht auf dem Transparent hinter ihm. Der Jurist aus Kaliningrad ist mit 37 Jahren die große Nachwuchshoffnung der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF). In einem Jahr trifft Klytschkow für die KPRF bei den Moskauer Bürgermeisterwahlen an. Bei Veranstaltungen vergleicht er sich lieber mit Bernie Sanders als mit Lenin. "Feel the Bern" und Sharing Economy statt "Prawda" und Pioniere.

Die KPRF ist die direkte Nachfolgeorganisation der KPdSU. Im Parteilogo prangen noch heute Hammer und Sichel. Während sie vor allem seit Wladimir Putins Amtsantritt 1999 an Bedeutung verloren hat und als Partei für Pensionisten und Ewiggestrige abgetan wurde, ist sie mit 13,3 Prozent hinter der Kreml-Partei "Einiges Russland" noch die zweitstärkste Partei Russlands. Und - zumindest formal - die größte Partei der Opposition.

Kooperation mit Nawalny

Eigentlich gäbe es heute in Russland gute Voraussetzungen für linke Politik. Die Boomjahre des hohen Ölpreises sind vorbei, seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise 2014 geben die Russen heute im Durchschnitt wieder mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Essen aus. Die Schere zwischen Arm und Reich geht im post-sowjetischen Russland, dem Land der "Oligarchen", weit auseinander. Im Parlament gehören die Kommunisten aber zur sogenannten "System-Opposition", die die Initiativen des Kremls abnickt und den Führungsanspruch Putins erst gar nicht infrage stellt.

Die Geschichte der Kommunisten ist eine der Marginalisierung - und Überalterung. 1997 waren nur etwa zehn Prozent der 550.000 Parteimitglieder unter 40 Jahre alt. Dass die Partei heute nur noch 160.000 Mitglieder zählt, erklärt sich laut Beobachtern dadurch, dass viele schlichtweg gestorben sind. "Statt um eine dynamische, revolutionäre Vorhut handelt es sich um eine alternde Parlamentspartei", so der Politikwissenschafter Luke March, "ein "Schatten ihrer selbst." Als 2006 mit "Gerechtes Russland" eine linke kremlnahe Partei gegründet wurde - wohl auch, um der KPRF Stimmen abzujagen -, schien der Stern der Kommunisten weiter zu sinken.

Doch jetzt scheint der Kampfgeist der Roten wieder aufzuflammen. Grelle Plakate säumen den Weg zur Pressekonferenz im Moskauer Stadtzentrum. Ein roter, strahlender Boxhandschuh, mit der Inschrift: "Die Roten fordern Sobjanin heraus!" Der kremltreue Bürgermeister Sergej Sobjanin ist unter Druck geraten, nachdem tausende Moskauer gegen das Programm der "Renovierung", alte sowjetische Wohnhäuser abzureißen, auf die Straße gingen. Klytschkow plant Sozialprogramme, Krankenhäuser, Wohnbau. Und flotte Sprüche gegen die "chrenowazija", auf Deutsch in etwa "Verblödung".

So haben die Kommunisten versucht, Kapital aus der allgemeinen Unzufriedenheit im Land zu schlagen. Das führt zu ungewöhnlichen Allianzen: Erst zuletzt sind tausende Russen dem Aufruf des Oppositionellen Alexej Nawalny gefolgt, gegen Korruption zu demonstrieren. Nawalnys Team hatte im Frühjahr die vermeintlichen Reichtümer von Premier Dmitrij Medwedew enthüllt, das Video wurde bisher 24 Millionen Mal geklickt. So waren es gerade die Kommunisten, die in der Duma einen Antrag stellten, um die Vorwürfe gegen Dmitrij Medwedew zu untersuchen, während Nawalny zuletzt wiederum angekündigt hat, Klytschkow bei den Bürgermeisterwahlen in Moskau zu unterstützen. Inzwischen hat auch Sergej Udalzow, ein Führer der jungen linken Bewegung, laut darüber nachgedacht, der KPRF beizutreten. Udalzow ist dieser Tage nach einer mehrjährigen Haftstrafe entlassen worden, nachdem er wegen der "Organisation von Massenunruhen" bei den Winterprotesten 2011/12 verurteilt wurde.

Sind die Kommunisten plötzlich hip geworden? "Die Kommunisten haben seit Jahren ihre Rolle als Fake-Opposition akzeptiert", so Russland-Experte Mark Galeotti in einem Interview. Aber zuletzt sei in der Partei eine junge, regionale Riege aufgestiegen, die sich weniger als Sowjet-Nostalgiker, sondern vielmehr als Kämpfer für soziale Gerechtigkeit sieht. "Wenn du gegen das System sein willst, dann ist die Kommunistische Partei oft die einzige Option", sagt Galeotti - vor allem abseits der recht liberalen Städte Moskau und Sankt Petersburg. Als die "jungen, roten Hipster" hat sie zuletzt die "Moscow Times" bezeichnet. Laut offiziellen Angaben sind mittlerweile zumindest 40 Prozent der neuen Parteimitglieder unter 35 Jahre alt.

Parteichef Gennadij Sjuganow verkörpert hingegen die alte Riege. Der 73-Jährige ist der Methusalem der russischen Politik: KPRF-Vorsitzender seit 1993, hat er seither praktisch an allen Präsidentschaftswahlen teilgenommen. 1996 schnappte ihm Boris Jelzin nur knapp den Sieg im zweiten Wahlgang weg. Sjuganow sieht sich als "Marxist-Leninist" und Vertreter eines "erneuerten Sozialismus". Während es zu Jahresbeginn Gerüchte gab, Sjuganow könnte diesmal - für die Präsidentschaftswahlen 2018 - für einen Jüngeren das Feld räumen, haben sich diese nun doch wieder zerstoben.

Zumindest bei regionalen Wahlkämpfen haben die Kommunisten zuletzt einige Erfolge eingefahren: So konnten sie sich 2014 bei den Kommunalwahlen in der sibirischen Metropole Nowosibirsk und in der zentralrussischen Stadt Orjol gegen die Kreml-Partei "Einiges Russland" durchsetzen. Ein Jahr darauf errangen die Kommunisten den Gouverneursposten in Irkutsk. Laut Experten sind die Kommunisten die einzige Partei in Russland, die über eine stabile Parteistruktur verfügt und somit wohl auch über den Verlust ihres Parteiführers hinaus existieren würde - anders als wohl "Einiges Russland" (Putin), die rechtsextremen Liberaldemokraten (Wladimir Schirinowskij) oder die Fortschrittspartei (Alexej Nawalny).

Die Jungen an die Ideen der Kommunisten heranzuführen, ist auch das Ziel von Jaroslaw Listow. Der 35-Jährige leitet die Jugendorganisation der Kommunisten, den Komsomol, mit 20.000 Mitgliedern. Listow redet sich richtig in Fahrt, wenn er über "soziale Gerechtigkeit" und das Lieblingsthema der Kommunisten - die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien - spricht. Wer könne sich denn heute noch in Moskau die Mieten leisten? Wie inmitten der Wirtschaftskrise einen sicheren Job finden? Wie gegen die Korruption kämpfen? Laut einer Umfrage finden linke Ideen bei 70 Prozent der jungen Russen Anklang. "Der Sozialismus als Idee ist in Russland nicht gestorben!", jubelt Listow.

Doch wenn die Rede auf Stalin kommt, wird die "rote Avantgarde" schnell reaktionär. Russland stünde vor einer "technologischen Revolution" - ähnlich wie bei der Industriellen Revolution, sagt Klytschkow. "In den 30er Jahren ist unser Land einen Weg gegangen, für den andere 50 Jahre gebraucht haben", schwärmt Klytschkow. Dass Stalin zugleich Millionen Sowjetbürger verhaftet, in den Gulag geschickt und hunderttausende erschossen hat, ficht ihn derweil nicht an. So seien es auch gerade die Anti-Korruptions-Proteste, die Stalin wieder aktuell gemacht hätten, sagt Klytschkow. "Stalin ist in seinem alten Kittel gestorben. Er hat für das Land gearbeitet und nicht für sich selbst."

"Wurzeln weggeschnitten"

Also alter Wein in neuen Schläuchen? Das Erbe Stalins ist auch für die jungen Kommunisten des 21. Jahrhunderts nicht verhandelbar. Ein Erbe, das freilich eifrig vom Kreml gepflegt wird und zuletzt in Russland zu einem kleinen Revival des Stalin-Kults geführt hat. Sich von Stalin loszusagen, sei ein Fehler, den die meisten anderen kommunistischen Parteien weltweit gemacht hätten, sagt Komsomol-Leiter Listow: "Wie bei Bäumen, denen ihre Wurzeln weggeschnitten werden, haben sie dann aufgehört, zu existieren."