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Casus Belli in Hellas

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik

Griechen wehren sich gegen Entlassung von 15.000 Beamten bis Ende 2014.


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Athen. Kiki Giannatou streicht sich das Haar aus dem Gesicht, dann zieht sie hastig an ihrer Zigarette. "Natürlich habe ich Angst. Ich wünsche niemandem das, was mich erwartet." Die 39-Jährige ist eine zierliche Frau mit funkelnden Augen. Seit fünf Jahren lehrt die Mathematikerin an einem Gymnasium in der nordostgriechischen Grenzstadt Orestiada, einen Steinwurf von der Türkei entfernt. Ihre Schule ist staatlich, eine Beamtin auf Lebenszeit ist Kiki Giannatou aber nicht. Wenn im September nach den Sommerferien die Schulen öffnen, stattet sie der Staat mit einem Zeitvertrag aus.

Seit dem Beginn der rigorosen Sparpolitik sind ihre ohnehin schmalen Bezüge um 40 Prozent gekürzt worden - auf 950 Euro pro Monat. Damit kommt man als Mutter zweier Kinder mit einer Mietwohnung selbst in einer Provinzstadt kaum über die Runden, auch wenn der Ehemann ebenfalls Lehrer ist. "Es reicht gerade so zum Leben. Mehr ist nicht drin", sagt sie. Ihr Kontrakt mit dem Staat läuft auch heuer im Juni aus, im Sommer muss sie stempeln gehen. So will der hellenische Fiskus Geld sparen.

Doch auch das könnte bald vorbei sein. Denn Kiki Giannatou droht im September der Jobverlust - und damit der totale Absturz in dem Euro-Krisenland, in dem die Arbeitslosigkeit grassiert. Die Kreditgeber-Troika hat Athen diktiert, bis Ende 2014 insgesamt 15.000 Staatsbediensteten den Laufpass zu geben - davon 4000 bis Ende 2013. Offiziell bezeichnet Athen den Personalabbau per Blitz-Rausschmiss kleinlaut als "zwangsweise Abgänge". Das brisante Wort "Entlassungen" für Beamte mag kein Regierungspolitiker in den Mund nehmen. Es ist ein Tabubruch. Entlassungen von Staatsbediensteten hat es seit 1912 nicht gegeben. Das hatte gute Gründe: Der liberale Staatsmann Eleftherios Venizelos führte die Jobgarantie ein, um Beamte vor Willkür zu schützen. Denn immer, wenn eine neue Regierung die Macht übernahm, mussten politisch andersdenkende Staatsdiener den Hut nehmen.

Ihren Widerstand gegen die "zwangsweisen Abgänge" gaben die Sparbefürworter der Athener Drei-Parteien-Regierung erst im April auf. Sie hatten keine andere Wahl. Seit Frühjahr 2010 hängt Griechenland am Tropf seiner Kreditgeber. Hätte Athen ein heroisches Nein gewagt, hätte die Troika eine überfällige Kredittranche von 2,8 Milliarden Euro nicht freigegeben.

Gewerkschafter Iliopoulos: "Die Troika will Blut sehen"

Griechenland ist chronisch klamm. Die Gehälter der Staatsdiener sind seit 2010 um fast die Hälfte gekürzt worden - auf durchschnittlich etwa 1000 Euro pro Monat. Dennoch beharrt die Troika darauf, den Staatsapparat von 2010 bis 2015 um 150.000 Beschäftigte zu verkleinern. Dabei schrumpft der Staatsapparat seit drei Jahren ohnehin kontinuierlich - ohne Entlassungen. In dem knapp elf Millionen Einwohner zählenden Land standen noch im Juli 2010 genau 768.009 Staatsbedienstete auf dem Gehaltszettel, einschließlich Richtern, Soldaten und Kommunalangestellten. Die Zahl sank per Ende April auf 700.747 - ein Minus von fast 70.000 Beschäftigten binnen zweieinhalb Jahren.

Der Grund: Griechenlands Beamte flüchten in Massen in den Ruhestand. Sie wollen so weiteren drastischen Kürzungen der beim Ausscheiden fälligen Abfindung zuvorkommen. Das Motto: "Rette sich, wer kann." Zugleich stellt der Staat kaum neues Personal ein. Seit geraumer Zeit wird die mit der Troika vereinbarte Quote von einer Neueinstellung für fünf Pensionierungen unterschritten. Beispiel: Im Dezember 2012 gingen 4779 Staatsbedienstete in Pension, einen neuen Staatsjob ergatterten nur 368. Beobachter sind sich einig: Das Ziel des Personalabbaus um weitere 80.000 Personen bis Ende 2015 wird wegen des faktischen Einstellungsstopps alleine durch natürliche Fluktuation erreicht. Weshalb dann das Gezerre um das Reiz-Thema Entlassungen? "Die Troika will Blut sehen", sagt Ilias Iliopoulos von der Beamtengewerkschaft Adedy. In seinem Büro in der Athener Fillelinon-Straße hängt ein Dutzend Troika-Protestplakate. Er legt noch eine Schippe drauf: "Unsere Regierung ist schwach. Sie muss sich fügen." Wem? "Angela Merkel."

"Der Staatsapparat wird kleiner und besser", sagt Premierminister Samaras. Feststeht: Er wird kleiner und billiger. Denn die Neo-Beamten werden mit einem Mini-Monatslohn von 600 Euro abgespeist. Klar ist aber auch: Athens Absicht, Beamte zu feuern, die sich strafbar gemacht haben, wird nicht ausreichen, um die Zahl von 15.000 Entlassungen bis Ende 2014 annähernd zu erreichen. Denn über nur 2184 hellenischen Staatsdienern schwebt seit 2007 das Damoklesschwert einer straf- oder disziplinarrechtlichen Verfolgung. Die Delikte lauten: Pflichtverletzung, Untreue, Unterschlagung, passive Bestechung oder Geldwäsche. Bestenfalls ein Drittel davon muss Experten zufolge mit rechtskräftigen Verurteilungen rechnen, die in einen Rausschmiss münden können. Davon betroffen waren bisher erst drei Staatsbedienstete. Ein Fall betraf einen Pförtner im Bau- und Umweltministerium. Er hatte zwei Jahre lang die Arbeit geschwänzt.

25.000 Staatsdiener wandern in "Arbeitsreserve"

Woher soll dann das Gros der Entlassungen stammen? In einem Schreiben an die Eurogruppe verpflichtet sich Athen, mehr als 13.000 Staatsstellen zu streichen, indem staatliche Behörden oder Körperschaften privaten oder öffentlichen Rechts zusammengelegt oder abgeschafft werden.

Es könnte Stavroula Makri (35) treffen. Sie arbeitet seit dreizehn Jahren in einer Körperschaft, die die 82 kommunalen Athener Kindergärten verantwortet. Mit dem Instrument der Arbeitsreserve, in die überflüssige Staatsbedienstete befristet und zum Mini-Lohn gesteckt werden können, kam die Regierung nicht weiter. Das Vorhaben scheiterte im Fall Makri und Co. vor Gericht. Nun sollen es Blitz-Entlassungen per Stellenstreichungen richten - auch Makris sicher geglaubter Arbeitsplatz ist in Gefahr. Das Horrorszenario würde sie hart treffen. Ihr Monatsgehalt betrage nur noch 800 Euro, rund vierhundert Euro weniger als vor drei Jahren, sagt die alleinerziehende Mutter. Das sei wenig Geld, aber besser als nichts. Was empfindet sie? Stavroula Makri senkt den Blick. "Enttäuschung, Trauer. Wo soll ich denn Arbeit finden? Alle meine Freunde sind arbeitslos." Tochter Sofia ist acht Jahre alt. Kürzlich habe sie gesagt: "Mama, wenigstens haben wir was zu essen." Sofias Worte waren ein Schock. Doch bald könnte alles für sie noch viel schlimmer werden.

Einer, der alles dafür tut, dass der Tabubruch der Beamten-Entlassungen auf dem Papier bleibt, ist Themis Balasopoulos. Der kleine Mann mit der modischen Hornbrille ist Griechenlands gefürchtetster Gewerkschafter. Er vertritt 70.000 Kommunalangestellte in landesweit 325 Städten und Gemeinden. "Hier, ich zeige Ihnen was", sagt Balasopoulos in seinem Büro am Athener Metaxourgeio-Platz. Er zieht acht Seiten aus dem Drucker. Fein säuberlich sind Protestaktionen gegen die Einführung der Arbeitsreserve aufgelistet - exakt 83. Die Fäden zog Balasopoulos. Rathäuser wurden besetzt, Müllberge wuchsen in den Himmel, der deutsche Konsul in Thessaloniki wurde mit Kaffee beworfen.

Bis 2015 sollen 25.000 Staatsdiener in die ominöse Arbeitsreserve gesteckt werden, so die neueste Vereinbarung mit der Troika. Entlassen worden ist aus der Pipeline Arbeitsreserve indessen noch niemand. Balasopoulos lächelt stolz. Mindestens mit gleicher Wucht wolle er auch gegen die jetzt angestrebten Blitz-Entlassungen im Staatssektor kämpfen: "Wir lassen keinen Kollegen alleine. Die Übereinkunft mit der Troika ist für uns der Casus Belli."

Der "beste Beamte der Welt" arbeitet jetzt in Sarajevo

"Nicht nur die Arbeitsreserve, auch das Vorhaben der Beamten-Entlassungen wird auf eine Fülle von juristischen und politischen Problemen stoßen - Ausgang offen", sagt Panos Karkatsoulis, ein hoher Beamter im Ministerium für Verwaltungsreform. Der 55 Jahre alte Jurist leitete zwei Jahrzehnte lang die Nationale Schule für Öffentliche Verwaltung. Im Vorjahr zeichnete ihn die US-amerikanische Beamtenvereinigung als "besten Beamten der Welt" aus. Karkatsoulis lapidar: "Der griechische Staatsapparat ist tot, eine Leiche." Schwarzmalerei? Derzeit hat er jedenfalls Besseres zu tun, als in seiner Heimat die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Er hilft, die Verwaltung in Bosnien-Herzegowina zu modernisieren. Seit gut drei Monaten arbeitet der weltbeste Beamte nicht mehr in Athen, sondern in Sarajevo.