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Um dem Anlass hier Rechnung zu tragen: Die "Süddeutsche Zeitung" hat einen Klassikstar verrissen. Der Schreiber hat nicht nur am Lack eines Publikumslieblings gekratzt, sondern dessen Karriere grosso modo hinterfragt.
Na und?, könnte man jetzt sagen. Valery Gergiev, Dirigent und Putin-Freund, kann ein Lied von solchen Verrissen singen, gegen die ihn keiner verteidigt. Jetzt aber ist Igor Levit der Leidtragende - und halb Deutschland empört: Der Kritiker Helmut Mauro hat Levit nicht nur mediokres Klavierspiel attestiert, sondern auch dessen Twitter-Gebaren getadelt. Unstatthafte Vermischung von Privatem und Beruflichem!, zürnen die Verteidiger. Doch sie haben unrecht im Fall Levit. Er selbst kultiviert seit jeher ein Fluidum aus persönlichen und pianistischen Tweets im Netz, aus Klassik-Videos von daheim und (teils verspielten, teils aggressiven, gern "mutig" genannten) linken Wortmeldungen. Das hat ihm 100.000 Follower beschert, samt Freundesfilz aus den Feuilletons. Selbstinszenierung? Nichts dagegen. Wo wäre Richard Wagner ohne sie? Doch es muss legitim sein, dies zu hinterfragen. Und Mauro tut es mit Löwenmut, denn er schreibt auch gegen die eigene Branche an - die ihm dafür immer lauter zürnt. Dass sich der Bayerische Rundfunk (Levits Partner bei einer Beethoven-Reihe) zur moralischen Kollegenschelte aufschwang, war nur die erste Böe in einem wogenden Shitstorm. Ein Sturm, der höchst bedenklich ist. Denn er greift nicht nur Mauro an, sondern die Freiheit des kritischen Denkens. Und damit eine conditio sine qua non der Demokratie.