Hanfprodukte sind schwer im Kommen. Vor allem CBD - ob in Ölen, Cremes oder als Blüte - erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Doch die Marktteilnehmer agieren in Europa im Graubereich. Ein Lokalaugenschein bei einem steirischen Hanf-Produzenten.
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Tausende Weihnachtssterne füllten über Jahrzehnte Ende Oktober die Gärtnerei Herneth in Puntigam bei Graz. Mit den Allerheiligengestecken hätten die Mitarbeiter zudem mehr als alle Hände voll zu tun - wenn das Unternehmen heute noch eine ganz normale Gärtnerei wäre. Denn statt der roten Topfpflanzen blüht es in den Glashäusern seit einigen Jahren nur noch grün. Das Familienunternehmen in vierter Generation heißt nun nämlich Hanfama und setzt seit 2017 ganz auf die Produktion von industriellem Hanf.
Das daraus gewonnene nicht psychoaktive Cannabinoid CBD (Cannabidiol) hat in den vergangenen Jahren einen regelrechten Boom erlebt. Als ganze Blüte oder als Zusatz in Öl, Tee sowie Kosmetika wird es vermehrt in Apotheken, aber auch in eigenen CBD-Läden, Online-Shops oder über Automaten vertrieben. Nicht verwechselt werden darf es mit THC (Tetrahydocannabiol). Dieses Cannabinoid ist in Österreich als Suchtmittel eingestuft, ist psychoaktiv, also wirkt berauschend, und der Besitz ist hierzulande illegal. CBD wie THC sind aber nur zwei von mehr als 100 Cannabinoiden in der Hanfpflanze. Wenn alle enthalten sind, wird ein CBD-Produkt als Vollspektrum bezeichnet.
Beliebter natürlicher Wirkstoff - ohne "High"
Viele Menschen schwören auf die mitunter entkrampfende, schmerzstillende, entzündungshemmende und beruhigende Wirkung von CBD - ganz ohne "High". Auch bei Tieren setzen Ärzte zunehmend auf den Stoff aus den weiblichen Blüten bestimmter Hanfsorten. Erneut Anschub erhielt die Nachfrage nach Cannabis heuer mit dem Lockdown im Zuge der Corona-Pandemie. In den USA - wo in einigen Bundesstaaten Marihuana legal ist - stieg der Absatz etwa um bis zu 90 Prozent. In einigen US-Bundesstaaten durften Cannabis-Shops genau so wie Supermärkte und Bäckereien während des Lockdowns geöffnet haben. Auch in Kanada, wo Marihuana als Freizeitdroge 2018 legalisiert wurde, ging mehr Cannabis über den Ladentisch, während Bars und Restaurants geschlossen bleiben mussten.
Florian Lorenz, Vertriebsleiter von Hanfama kann ebenfalls einen Corona-Effekt bei der CBD-Nachfrage in Österreich bestätigen. "Im März saßen wir noch zusammen und erwarteten einen Rückgang unseres Umsatzes um ganze zwei Drittel - in Wahrheit ist die Nachfrage nach CBD-Produkten dann rasant stark gestiegen". Allerdings gab es heuer auch eine enorme Qualitätssteigerung - das könne auch damit zu tun haben, räumt Lorenz ein.
Die rechtliche Lage für CBD-Produzenten und -Händler ist hierzulande allerdings verzwickt und könnte sich noch verschärfen, denn der Verkauf von Lebens- und Nahrungsergänzungsmitteln mit CBD-haltigen Extrakten ist gemäß einem Erlass des Gesundheitsministeriums aus dem Jahr 2018 verboten. Dieser beruft sich auf die Novel Food Verordnung der EU. Demgemäß sind alle Stoffe, welche nicht vor dem 15. Juli 1997 in der Europäischen Gemeinschaft in nennenswertem Umfang verzehrt wurden, als neuartig zu bezeichnen. Lebensmittel und Kosmetika in Österreich sind demnach nicht frei verkäuflich. Hierfür bedarf es einer Zulassung, die aktuell verweigert wird. Deswegen werden die Produkte von den Herstellern nicht als Lebensmittel oder Kosmetika gekennzeichnet, sondern als Aromaprodukte vertrieben.
Einstufung als Suchtmittel bedroht kleine Marktteilnehmer
Heuer im Juli dann die nächste Hiobsbotschaft für die Branche: Denn geht es nach der EU-Kommission, soll natürliches CBD nun als Betäubungsmittel eingestuft werden. "Wenn Hanfextrakte als Suchtstoffe gelten, werden nicht die Landwirte und KMUs vom Erfolg des Hanfsektors profitieren, sondern nur die großen Konzerne, die sich die synthetische Produktion von Chemikalien leisten können. Diesen Irrsinn können wir uns weder leisten noch hinnehmen", sagt Lorenza Romanese. Sie ist geschäftsführende Direktorin der EIHA, dem Europäischen Verband für Industriehanf, welcher die gemeinsamen Interessen von Landwirten, Erzeugern und Händlern, die mit Hanffasern, -schäben, -samen, -blättern und Cannabinoiden arbeiten. Es sei Fakt, dass hinter dem Ansinnen die große Pharmaindustrie stehe, denn sobald CBD als Suchtmittel eingestuft wird, kann nur die Pharmaindustrie damit arbeiten, alle anderen Marktteilnehmer nicht, so Romanese.
Der Aufschrei in der Hanfbranche ist dementsprechend groß, unzählige Shops, Produzenten und Verarbeiter fürchten um ihre Existenz. "Das beobachten wir mit Adleraugen, was die EU da vorhat", sagt auch Lorenz von Hanfama. "Wir sind als Firma aber extrem breit aufgestellt. Von Biomasse über Blüten bis zu Extrakten und Kosmetika haben wir ein breites Spektrum an Produkten. Wir versuchen, das Risiko zu streuen", so der Steirer. Es wäre aber gut für das Produkt CBD, wenn einheitliche Regelungen kommen würden, so der Hanfanbauer. "Jetzt haben wir einen Fleckerlteppich in der EU - manche Länder trauen sich ein bisschen mehr, andere weniger", so Lorenz.
CBD-Produkte mit einem THC-Gehalt von unter 0,3 Prozent sind in Österreich legal. In Deutschland liegt der Wert bei 0,2, in Italien bei 0,6 und in der Schweiz bei 1 Prozent. Aktuell wird auf EU-Ebene über die Reform der CAP (Common Agricultural Policy) abgestimmt. In der Nacht zum Donnerstag hat das EU-Parlament dafür gestimmt, dass das THC-Limit in CBD-Produkten von 0,2 auf 0,3 Prozent angehoben wird. Das bedeutet für österreichische Hanfanbauer, dass sie künftig Geld aus Brüssel bekommen,sagt EIHA-Direktorin Romanese.
Natürliche CBD-Produkte Made in Austria
Auf knapp 20 Hektar, das entspricht etwa 28 Fußballfeldern, erntet Hanfama von April bis Oktober die Blüten diverser Hanfindustriesorten aus dem EU-Sortenkatalog. In Töpfen, ohne Pestizide und mit Nützlingen dürften die Glashäuser Herneth mit seinen insgesamt 170 Mitarbeitern zu einem der größten Indoor-Produzenten von Hanfprodukten machen.
Der THC-Wert liegt bei den Pflanzen schon im legalen Limit unter 0,3 Prozent. Hat früher etwa der Discounter Hofer das Bio-Gemüse und die Kräuter für seine Ketten kontrolliert, ist nun die Ages für regelmäßige Kontrollen verantwortlich.
Aber nicht nur der Rohstoff wird in der Nähe von Graz angebaut, auch CBD-Endprodukte stellt Hanfama selbst her. "Wir machen von ‚Seed to Sale‘ alles selbst. Also von der Stecklingsvermehrung der Mutterpflanzen über Kultivierung, Trocknen, Weiterverarbeitung, bis hin zur CBD-Extraktion", sagt Lorenz. Auch Export ist ein Thema. "Wir sind in neun EU-Ländern tätig und exportieren immer mehr, wobei Österreich einer der Hauptmärkte ist", sagt Lorenz. "Wir wollen in den nächsten Monaten expandieren, konzentrieren uns aber auf die EU als Markt", so der Vertriebsleiter.
Den komplexen Regulierungen, die die Kunden durchaus verunsichern können, versucht der Betrieb mit Transparenz entgegenzuwirken. "Es gibt enorme Qualitätsunterschiede, da kommt extrem viel aus Übersee, etwa China. Aber die meisten liefern nur den Reinstoff, nicht Vollspektrum-Extrakte", erklärt Lorenz. Mit Transparenz und Sicherheit gewinne man die Kunden. Produktionsführungen vom Steckling bis zum Endprodukt geben Einblick in den Prozess Made in Austria.
Wirtschaftsfaktor Cannabis
Trotzdem, die Graubereich-Situation macht den Unternehmen in Europa zu schaffen, sind es mit 67 Prozent laut EIHA doch vor allem kleine und mittlere Unternehmen, die in dem Sektor mit einem jährlichen Umsatz von bis zu zwei Millionen Euro mitmischen.
Den Sektor in Zahlen zu fassen ist schwierig, es gibt wenig verfügbare Daten. Laut Wirtschaftsverband Cannabis Austria (WVCA) soll es (Stand 2019) 300 Unternehmen in Österreich geben, die ein Gewerbe im Bereich Cannabis ausüben. Die Zahl der CBD-Shops, die in kurzer Zeit stark zugenommen hat, wird landesweit auf 400 geschätzt. An dem Produkt hängen insgesamt 1.500 Jobs, und der erwirtschaftete Jahresumsatz beläuft sich auf 250 Millionen Euro, schätzt der WVCA. Der Europe CBD-Report der Brightfield Group von Juli 2020 kommt zu etwas anderen Ergebnissen. Demzufolge wurde 2019 auf mehr als 2.000 Hektar in Österreich Nutz-Hanf angebaut. Bei einer stark wachsenden Entwicklung erwirtschaftete die Branche im vergangenen Jahr hierzulande einen Umsatz von 68,77 Millionen Euro.
Ein weiterer Indikator, der das Wachstumspotenzial verdeutlicht, ist die Zunahme der Fläche, auf der Industriehanf angebaut wird. Sie beträgt in Europa laut einem Report der EIHA (Hemp cultivation & production in Europe 2018) 50.081 Hektar, das sind ganze 614 Prozent mehr als noch 1993. 3 Prozent dieser Flächen befinden sich in Österreich, Spitzenreiter ist Frankreich mit 37 Prozent. Die weiterverarbeitenden Hersteller in der EU greifen zu 90 Prozent auf Rohmaterial (Samen, Blüten, Blätter) aus der EU zurück.
Doch andere Märkte wie die USA, Kanada, China und die Schweiz sind stark dabei, ihren Vorsprung auszubauen - die EU könnte hier ins Hintertreffen geraten. Seit dem US-Agrargesetz (US Farm Bill) von 2018 und der Legalisierung von Hanf am US-Markt haben sich die USA vom größten Importierer von CBD zum führenden Exportierer gewandelt. Die USA machen auch etwa 75 Prozent des globalen CBD-Marktes aus. 2019 wurden in den USA auf 211.425 Hektar (rund 296.113 Fußballfelder) Hanf angebaut. Sechsmal mehr als nur ein Jahr zuvor. Die USA haben damit wohl China (162.000 ha) und Kanada (40.000 ha) überholt. Mit der US Farm Bill kamen die EU-Exporte in die USA quasi zum Erliegen. "Ich frage mich, ob Europa den Mut hat, evidenzbasierte Politik zu machen oder aber tatenlos zusieht, wie der Rest der Welt davonzieht", kritisiert EIHA-Direktorin Romanese das jüngste Ansinnen in Brüssel.
Das Produkt ist etabliert, akzeptiert und wird nachgefragt - 78 Prozent der Österreicher sind laut einer Umfrage der Integral Markt und Meinungsforschung vom Juli 2019 für eine breite Verfuügbarkeit von CBD. Die Beobachtung hat auch Florian Lorenz in den letzten Jahren gemacht. " Wie wir angefangen haben, war es ganz extrem, da hieß es: das sind ja alles Drogen! Das hat sich komplett gewandelt." Die Menschen befassen sich immer mehr mit Cannabis. Immer mehr kennen sich immer besser aus. Das erstaune die Hersteller teilweise und freut sie, denn die Kunden wissen hier ein gutes Produkt zu schätzen, so Lorenz.
"Wir haben vor, stark zu wachsen!"
Was in ganz kleinem Maßstab als Versuch begonnen hat, mausert sich zu einer Marktgröße. Günter Herneth ist ohne Zögern mit großen Schritten und Überzeugung vorangegangen, für ihn ist es einfach ein Produkt, das den Menschen helfe.
Mit der CBD-Produktion ist etwas Ruhe in den Betrieb eingekehrt. "Wir waren extrem saisonlastig, ein reiner Saisonbetrieb mit extremen Spitzen mit den Mitarbeitern und beim Arbeitspensum", erzählt Lorenz. Mit dem Hanf sei das ganz anders. Durch die Kultivierungsweise wird nicht einmal im Jahr geerntet, sondern fünf Tage die Woche von April bis in den Oktober. Im Dezember ist Pause, da fahren die Mitarbeiter auf Urlaub oder nach Hause und dann beginnt die Kultivierungsphase für das neue Jahr.
"Für unsere Mitarbeiter war die Umstellung kein großes Ding. Die Anlagen und die Maschinen sind die gleichen geblieben. Klar war der Hanfanbau eine Lernphase für alle, auch für uns. Aber was wir gut können, ist Pflanzen kultivieren. Nur die Weiterverarbeitung war ein Lernprozess", sagt Lorenz. Bei der Ernte, dem Trocknen und in der hauseigenen Extraktion werde immer noch dazugelernt und Neues ausprobiert, auch mit Hilfe und Input der Mitarbeiter.
Die Hanfproduzenten sehen trotz aller Diskussionen zuversichtlich in die Zukunft. "Wir investieren ständig, um besser zu werden und die Qualität zu sichern. Wir sagen auch nicht, wir warten die rechtlichen Prozesse ab, alles auf hold - das geht nicht", winkt Lorenz ab. "Wir arbeiten klar Richtung Wachstum. Und wir haben vor, stark zu wachsen!"