Lange hatte es so ausgesehen, als hätten CDU und FDP bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein den Sieg schon in der Tasche. Doch SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis konnte im Beliebtheitsranking gegenüber dem CDU-Spitzenkandidaten Peter Harry Carstensen zuletzt kräftig aufholen. Wenn die Norddeutschen an diesem Sonntag zu den Urnen schreiten, wird ihr daher wohl das Mandat zur Neuauflage der rot-grünen Koalition erteilt.
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"17-Jahre Opposition sind genug" lautete der Wahlslogan, mit dem Carstensen bei seinem Wahlkampftours landein landaus um die Stimmen der 2,2 Millionen Wahlberechtigten warb. Doch in der traditionellen SPD-Hochburg in äußersten Norden Deutschlands zeichnet sich der von der Opposition erhoffte Wandel, der ihr auch mit Blick auf die Bundestagswahlen im kommenden Jahr sehr gelegen gekommen wäre, nicht ab. Zuletzt gab das ZDF-Politbarometer der SPD 40 Prozent, der CDU 37, Grünen und FDP je sieben.
Und dies, obwohl die seit 1988 ohne Unterbrechung regierenden Sozialdemokraten eine eher bescheidene Bilanz vorzuweisen haben. Immerhin ist Schleswig-Holstein sowohl bei der Beschäftigungsrate als auch beim Wirtschaftswachstum Schlusslicht bei den westdeutschen Bundesländern, dafür aber Spitzenreiter bei der Pro-Kopf-Verschuldung, die nur im ebenfalls sozialdemokratisch geführten Bremen höher liegt. Bei Verkehrsvorhaben wie der Ostsee-Autobahn A 20 gab es jahrelange Verzögerungen, die Investitionsquote ist im Keller.
Die Linke setzte daher im Wahlkampf ganz auf die Popularität ihrer 61-Jährigen Spitzenkandidatin - und zunächst auf die Zugkraft von Bundeskanzler Gerhard Schröder, der der harten Witterung aber nicht standhielt und mit einer Grippe im Bett landete. Die Fokussierung auf Simonis, die vor allem bei den Frauen gut ankommt, auch deshalb, weil sie für sich beanspruchen kann, die einzige Ministerpräsidentin im Land zu sein, hat sich durchaus bezahlt gemacht. Laut Umfragen würden in einer Direktwahl der Landeschefs fast zwei Drittel der seit 1993 SPD-Amtierenden den Vorzug vor dem wenig charismatischen CDU-Rivalen geben.
NPD als Schlüsselfaktor
Trotz aller Boni: Eine Fortsetzung der seit 1996 bestehenden rot-grünen Koalition, wie Simonis sie offen befürwortet, ist nicht garantiert. Zünglein an der Waage könnte der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) werden, der als Partei der dänischen Minderheit von der Fünf-Prozent-Klausel befreit ist und eventuell per Tolerierung eine Regierung stützen könnte. Einen Regierungseintritt lehnt sie ab. Sorge bereitet der SPD in Schleswig-Holstein des weiteren die Kandidatur der rechtsextremen NPD. Diese will nach ihrem Erfolg in Sachsen in ein zweites Länderparlament einziehen. In Umfragen verpasst sie zwar bisher mit höchstens drei Prozent den Sprung in den Kieler Landtag. Doch erfahrungsgemäß geben viele Sympathisanten ihre Affinität zu den Rechtsradikalen nicht offen zu. Das eigentliche NPD-Potenzial wird - bestärkt durch die Debatte über die deutsche Rekordarbeitslosigkeit - daher auf bis zu sieben Prozent geschätzt. Beobachter verweisen dabei auf das Beispiel Sachsen: Dort lag die Nationale Partei Deutschlands in Umfragen vor der Landtagswahl im September vergangenen Jahres bei drei Prozent. Im Ergebnis waren es dann aber 9,2 Prozent. Und die Schleswig-Holsteiner haben schon einmal Neonazis in den Landtag verholfen: 1992 war die rechtsextreme DVU dort mit sechs Abgeordneten eingezogen.
Sollte die NPD die Fünf-Prozent-Hürde schaffen, müsste Simonis, wenn sie die CDU weiter aus der Regierungsverantwortung halten will, die FPD ins Boot holen. Diese hat ihr angesichts der geringen Chancen auf eine Mehrheit für Koalition mit der CDU zwar bereits Avancen gemacht, die Koalitionsverhandlungen würden sich aber mangels inhaltlicher Berührungspunkte als überaus kompliziert erweisen. Eine "Ampel"-Koalition aus SPD, FDP und Grünen gilt daher als sehr unwahrscheinlich.
Die dritte sich anbietende Variante wäre eine große Koalition, die der angeschlagenen CDU unter Angela Merkal nach einigen Wahlschlappen und miserablen Umfragedaten auch bundesweit wieder neuen Auftrieb geben könnte. Die Kieler Grünen wollen sich auch diesem Experiment nicht anschließen, ließen sie im Vorfeld der Landtagswahl verlauten.
Pech und Pleiten
Der hehre Wunsch des Simonis-Herausforderers Carstensen (57), die CDU erstmals seit dem Skandal um den damaligen Ministerpräsidenten Uwe Barschel Ende der 80er Jahre wieder an die Regierung bringen, wird vor diesem Hintergrund wohl Traum bleiben. Zuletzt versuchte die CDU, ihre Chancen zu erhöhen, indem sie - rechtzeitig zum Wahlkampf-Endspurt - die Visa-Vergabepraxis des Bundesaußenministers zu einem Skandal hochspielte. Dies dürfte der Landespartei durchaus einige Prozentpunkte auf Kosten der Grünen gebracht haben, für einen Sieg am Sonntag wird es aber kaum reichen. Die Ursachen sind großteils selbst gemacht. So konnte der CDU-Spitzenkandidat Carstensen trotz seiner bemüht sympathisch-fröhlichen Ausstrahlung in der Popularität mit Heide Simonis nicht mithalten. Dem hinzu gesellte sich eine monatelange Pannenserie, wie etwa die daneben gegangene Vorstellung eines Schattenkabinetts. Die Grünen feierten den zwischendurch mit Putschgerüchten konfrontierten Bundestagsabgeordnete von der Insel Nordstrand höhnisch als ihren besten Wahlkämpfer. Über den hausgemachten Ärger hinaus litt die CDU auch unter dem unionsinternen Streit im Bund. So ist die Stimmung gedämpft. "Ich glaube, die Wahl ist schon verloren", raunte ein Anhänger am Rande einer Wahlkampfveranstaltung.
Dabei sollte der Urnengang im Norden ein Test für die politische Stimmung im Jahr vor der Bundestagswahl. Und er gilt als Signal für Nordrhein-Westfalen, wo am 22. Mai das zweite rot-grüne Landesbündnis auf dem Prüfstand steht. Bei zwei CDU/FDP-Siegen hätte die Bundestagsopposition im Bundesrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit und könnte Gesetze der Bundesregierung blockieren. Auch deshalb war der CDU auch so sehr daran gelegen, eine Angriffsfläche zu finden. Und sie fand sie in der Visa-Affäre.