Christdemokraten geben sich auf Parteitag in Leipzig sozialen Anstrich.
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Berlin. Die CDU wird sozialer: Das ist das Bild, das die Christdemokraten in Zeiten von Wirtschaftskrise und weltweiten Protesten vermitteln wollen. Und so erklärte gestern die CDU-Vorsitzende und deutsche Kanzlerin auf dem Parteitag der Christdemokraten, dass es "gerecht zugehen" solle in Deutschland. In Leipzig sprach sich Angela Merkel für "Lohnuntergrenzen" aus. Das Wort "Mindestlohn" nahm sie freilich nicht in den Mund, sind "Mindestlöhne" doch ein Tabu für die Konservativen: Sie zerstören Arbeitsplätze und Wettbewerbsfähigkeit, lautet die gängige Argumentation. Trotzdem geisterte zuletzt das Schlagwort "Mindestlohn" durch die Medien - und so schlägt Merkel nun zwei Fliegen mit einer Klappe.
Der CDU-Sozialflügel hatte die Debatte angestoßen: In immer mehr Branchen gebe es keine Kollektivverträge mehr. Mindestlöhne sind bisher in nur zehn Bereichen festgesetzt, darunter in der Pflege-, Abfall- und der Malerbranche.
Einen großen Streit auf dem Parteitag konnte Merkel schließlich abwenden. Man einigte sich auf einen Kompromiss, bevor der Programmpunkt am Montag im Plenum anstand. Der Kompromiss sei gut, um die Kuh vom Eis zu bringen, sagte der Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung Josef Schlarmann. "Aber wir hätten die Kuh nicht aufs Eis schicken dürfen." Das sieht der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, Karl-Josef Laumann, anders. Er hätte sich einen einheitlichen, flächendeckenden Mindestlohn gewünscht. Stattdessen sollen nun Lohnuntergrenzen für Branchen ohne Kollektivvertrag festgesetzt werden. Diese Grenzen sollen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite verhandeln, sie können abhängig von Alter oder Region schwanken.
"Ich glaube nicht, dass viele Lohnuntergrenzen eine bindende Wirkung haben", befand Laumann. Man könne Löhne auch nicht danach aushandeln, ob das Leben in München teurer sei als in Wilhelmshaven, sondern nach der Produktivität einer Branche.
Mit dem Koalitionspartner, den Liberalen, wäre ein flächendeckender, einheitlicher Mindestlohn allerdings nicht zu machen. Das hatte die FDP auf ihrem Sonderparteitag am Wochenende in Frankfurt betont. Die Liberalen sprachen sich hingegen erneut für ein "Bürgergeld" aus. Gezahlt würde es nur bei Bedürftigkeit. Doch auch die FDP versucht, sich einen sozialeren Anstrich zu geben: Die FDP müsse sich als Hüterin der Sozialen Marktwirtschaft profilieren, erklärte Parteichef Philipp Rösler. "Steuersenkungen sind kein Wert an sich." Seit Monaten dümpelt die Partei bei unter fünf Prozent. Der Aufschwung, den die neue Spitze auf dem Parteitag im Mai vorausgesagt hatte, ist bisher ausgeblieben. Nach wie vor wird die FDP als Ein-Themen- und Klientelpartei wahrgenommen. Der Union könnte es hingegen gelingen, wieder für mehr Wähler attraktiver zu werden. "Die Zeiten, in denen wir leben, verändern sich manchmal atemberaubend", sagte Merkel. Darauf brauche es neue Antworten - wobei man sich weiterhin an den konservativen Werten "Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit" orientiere.
Im vergangenen Jahr hatte man sich dazu durchgerungen, die Wehrpflicht ruhen zu lassen. Nach der Katastrophe in Fukushima hatte die Union schließlich angekündigt, die deutschen Atomkraftwerke deutlich schneller als bis dahin vorgesehen abzuschalten. Und am heutigen Dienstag wird darüber diskutiert, ob man an Hauptschule, Realschule und Gymnasium festhalten oder sich einem Zwei-Wege-Modell aus Gymnasium und Zusammenfassung von Real- und Hauptschule öffnen will. Doch auch hier beruhigte Merkel so manchen Parteikollegen: "Wir wollen keine Einheitsschule. Wir werden das Gymnasium erhalten."