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Nicht nur Deutsche und Franzosen wünschen eine rasche Machtübergabe von den USA an den Irak: Auch der amtierende Präsident des von Washington eingesetzten Verwaltungsrats, Ahmed Chalabi, dringt darauf. Und stellt die US-Regierung damit vor ein neues Problem.
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In der Vollversammlung der Vereinten Nation hörte Chalabi am Dienstag die Rede von US-Präsident George W. Bush, in der dieser sich dafür aussprach, dass die Machtübergabe nicht übereilt stattfinden sollte. Vielmehr sollten sich weitere Staaten an der Befriedung des Landes beteiligen. Chalabi - seit Jahren ein Verbündeter der Konservativen im Pentagon - bemüht sich indes in zahlreichen Gesprächen mit UN-Diplomaten um das Gegenteil: eine schnelle Machtübergabe ohne Entsendung weiterer Truppen aus dem Ausland.
Beobachter erwarten, dass sich Chalabi und weitere Mitglieder des Verwaltungsrats in den kommenden Tagen beim US-Kongress für mehr Autonomie einsetzen werden. Eines ihrer Argumente dürfte sein, dass die amerikanischen Steuerzahler so Milliarden Dollar einsparen könnten. Damit ist ein offener Streit des Gremiums mit der US-Regierung - die den Rat selbst eingesetzt hat - programmiert. Denn Bush hat sich eindeutig gegen eine schnellere Machtübergabe ausgesprochen: "Dieser Prozess muss nach den Bedürfnissen der Iraker ablaufen - weder hastig noch verzögert."
Das Weiße Haus spielt die Differenzen mit Chalabi herunter. Nach seiner Rede sagte Bush, "unsere Ziele im Irak sind die richtigen Ziele, und wir werden die Ziele erreichen". Seine Berater wiesen darauf hin, dass der Verwaltungsrat kein gewähltes Gremium sei, und dass der Präsident und der US-Zivilverwalter im Irak, Paul Bremer, an einem geordneten Verlauf festhielten. "Wir haben ein gemeinsames Ziel, Verantwortung und Macht so schnell wie möglich an das irakische Volk zu übergeben, aber das muss auf geordnete Art geschehen, und wir müssen ein Verfahren haben, das funktioniert", sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Scott McClellan.
Bremer erklärte am Montag vor einem Senatsausschuss, der einzige Weg zu vollständiger irakischer Souveränität sei eine schriftlich niedergelegte Verfassung, die mit freien, demokratischen Wahlen ratifiziert werde. Den Verwaltungsrat mit größeren Vollmachten auszustatten, sei nicht sinnvoll. Kurt Campbell, ein früherer ranghoher Pentagon-Beamter, der inzwischen am Zentrum für Strategische und Internationale Studien (CSIS) in Washington arbeitet, sieht in den Differenzen einen weiteren Ausdruck einer Fehde zwischen Verteidigungs- und Außenministerium.
Starke Kräfte im Verteidigungsministerium sähen es laut Campbell gerne, wenn Chalabi mehr Vollmachten erhielte und stimmen mit seinen jüngsten Äußerungen im Grundsatz überein. Das Außenministerium hingegen ziehe weiterhin einen allmählicheren Prozess vor, der auch andere Staaten einbinde. "Wir müssen ein Debakel vermeiden, und das geht am besten, indem man so viele Leute wie möglich einbezieht", sagt Campbell.
In einem am Dienstag veröffentlichten Interview mit der "New York Times" erklärte Chalabi, er fordere mehr Autonomie für den Verwaltungsrat und sofort eine zumindest teilweise Kontrolle über die Ministerien für Finanzen und Sicherheit. "Wir glauben, dass innere Sicherheit in Irak nicht erhalten werden kann, wenn Iraker nicht viel mehr einbezogen werden, als das bisher der Fall war", zitierte die Zeitung Chalabi.
Das Weiße Haus zieht es indes vor, mit gefügigeren Mitgliedern der irakischen Führung eng zusammenzuarbeiten. Am Montag traf Bush im Oval Office die Ministerin für Öffentliche Arbeiten, Nesrin Berwari, und Elektrizitätsminister Ajham Sameraei und gab ihnen die Gelegenheit zum Gespräch mit Journalisten. Es überrascht wenig, dass sie Bushs Plan einer schrittweisen Machtübergabe in den höchsten Tönen lobten.
Ivo Daalder, Politologe am Brookings-Institut in Washington und Koautor eines Buches über Bushs Außenpolitik, sagt, die Differenzen versetzten die Regierung in eine peinliche Lage. Die irakischen Behörden seien "nicht legitimiert, weil wir sie eingesetzt haben", erklärt Daalder. "Daher haben wir jetzt das Problem, gegen die Leute vorzugehen, die wir an die Macht gebracht haben, indem wir sagen, ihnen könne nicht getraut werden".