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Chance zur Flucht aus der Sucht

Von Michael Ellenbogen

Wissen

Das Leben eines Drogenkranken ist einem heimtückischen Kreislauf unterworfen: Beschaffung, Entzug sowie die Einnahme des erstandenen Suchtgiftes. Viele der Betroffenen unterliegen dieser fatalen Entwicklung bis zu ihrem Tod. Streetwork, eine Einrichtung des Vereines Wiener Sozialprojekte, bietet Menschen mit Suchtgiftproblemen eine Reihe von Möglichkeiten an, die Wege aus der Abhängigkeit zeigen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Bandbreite der Möglichkeiten beginnt bei Informations- und Beratungsgesprächen bis hin zur individuellen Betreuung des einzelnen Klienten. Auf Grund der persönlichen Entwicklungsgeschichte jedes einzelnen jungen Menschen wird gemeinsam mit dem Sozialarbeiter an einer Lösungsstrategie gearbeitet.

Ein wichtiges Element der Betreuung wird als "Risk Reduction" bezeichnet. Mit dieser Maßnahme sollen bei den Betroffenen präventiv physische und psychische Schäden bedingt durch den Drogenkonsum verhindert werden. Bei der Methode "Harm Reduction" soll die bei den Klienten durch die Einwirkung von Drogen bereits entstandene gesundheitliche Beeinträchtigung verringert werden.

Psychoaktive Substanzen führen bei den Konsumenten in ein fatales Abhängigkeitsverhältnis, in dem die meist jungen Menschen gefangen sind. Deshalb fällt es ihnen auch immer schwerer, ein geregeltes Leben zu führen, wie eine Ausbildung zu vollenden oder einem Beruf nachzugehen. Daher brauchen Drogenabhängige professionelle Hilfe und Unterstützung zur Bewältigung des Alltages. Im Rahmen der Krisenintervention setzen Mitarbeiter von Streetwork Maßnahmen, die den Männern und Frauen Hilfe in bedrohlichen und scheinbar aussichtslosen Situationen anbieten.

Bedürfnisorientierte

Sozialarbeit

"Wir definieren unsere Tätigkeit als Sozialarbeit, die sich nach den Bedürfnissen der Betroffenen richtet und vor Ort stattfindet. Wir kommen zu den Personen, die Hilfe benötigen, nicht umgekehrt," bringt Streetwork-Geschäftsführer Gerhard Schinnerl die Philosophie der Initiative auf den Punkt. Einerseits verfügt Streetwork über eine mobile Anlaufstelle, einen Bus, mit dem die Mitarbeiter zu den Treffpunkten der Drogenszene fahren, andererseits existiert der soziale Stützpunkt Karlsplatz, wo ein Team von Sozialarbeitern den DrogenkonsumentInnen ihre Hilfe anbieten.

Die Suchtgiftszene umfasst deri Generationen, die jüngsten sind gerade erst 16 Jahre alt, die ältesten Drogenkonsumenten haben oft schon das 40. Lebensjahr überschritten. "Der Weg zur Droge gestaltet sich nicht so, dass jemand zunächst ein ganz normales Leben führt und sich von heute auf morgen entscheidet, Kokain oder Heroin zu konsumieren. Dem geht eine oft jahrelange Entwicklung voraus, wo am Schluss möglicherweise die Straßenszene steht," analysiert Gerhard Schinnerl den verhängnisvollen Weg, den viele junge Menschen schon eingeschlagen haben, wie beispielsweise der 16-jährige Florian.

Die "klassische" Drogenkarriere

Der junge Mann entstammt einer wohlbehüteten Familie. Sein Vater ist Geschäftsinhaber in Wien und seine Mutter Gesangslehrerin. Die Eltern setzten viele Hoffnungen in ihren Sohn. Florian wurde als "Wunderkind" bezeichnet. Doch die Erwartungshaltung beider Elternteile überforderten den Jugendlichen. Immer wieder riss er von daheim aus und konsumierte Drogen. Er selbst bezeichnet sich als "bi" und geht manchmal auch "am Strich".

Florian hat gegenwärtig keinen festen Wohnsitz und nutzt daher die Übernachtungsmöglichkeit der sozialmedizinischen Drogenberatungsstelle "Ganslwirt". Der Bursche gehört der Punkszene an und hat eine ältere Freundin aus der Drogenszene. Zu seiner Familie hat Florian kaum Kontakt, ebensowenig zum Jugendamt. Florian achtet kaum auf sich, sein Selbstwertgefühl ist verkümmert. Jeden Tag kämpft er auf der Straße ums Überleben. Wichtig für ihn wäre ein annehmbares Beziehungsangebot oder zumindest die Existenz einer Vertrauensperson.

Der klassische Weg in die Suchtgiftszene ist eine problematische Kindheit, ein Großteil der Frauen wurde sexuell missbraucht. Viele Personen haben auch Gewalterfahrungen und leiden unter Beziehungsstörungen, die sich in ständigen Beziehungsabbrüchen äußern. Oftmals steckt hinter einer "Drogenkarriere" das Bedürfnis, sich mit unadäquaten Mitteln vor den psychischen Beschädigungen im bisherigen Leben selbst zu heilen," spricht der Geschäftsführer von Streetwork aus Erfahrung. Die Kindheit und Jugend der heute 42-jährigen Dolly war gekennzeichnet von körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt. In der Drogenszene lernte die Frau sich zu behaupten. Dolly hat Probleme mit Männern, meist dann, wenn für sie eine Beziehung "zu eng" wird. Die Frau hat gelernt sich zu wehren - nicht nur verbal, sondern auch physisch. Deshalb war sie auch mehrmals in Haft. Therapien und Entzüge brachten ihr keinen dauerhaften Erfolg. "Rückfälle" führten sie immer wieder zurück zum Drogenkonsum.

Hilfe in aussichtslosen Situationen

Die jahrelange regelmäßige Suchtgifteinnahme hat ihren Körper sehr geschwächt. Dolly ist mittlerweile HIV-positiv und hat Hepatitis C. Vor einiger Zeit brach die Frau mit einem schweren Herzinfarkt zusammen. Ihr gegenwärtiges Ziel ist es, das Überleben mit der Drogensucht zu gewährleisten, ihre Lebensqualität zu verbessern und ihre existentielle Basis zu sichern. Dabei wird ihr von Mitarbeitern des Vereines Wiener Sozialprojekte geholfen.

Ein wichtiges Angebot zur Verhinderung von Infektionen, ist das Spritzentauschprogramm. "An sieben Tagen in der Woche besteht die Möglichkeit, gebrauchte Spritzen gegen neue, sterile Spritzen einzutauschen, das hat, so paradox es klingt, das Ziel die Gesundheit der betroffenen Personen zu schützen," berichtet Schinnerl.

Doch so schlimm vielleicht auch so manches menschliche Schicksal für die Mitarbeiter von Streetwork sein mag, so wichtig ist für sie die positive Entwicklung von Menschen, die den Ausstieg aus der Drogenszene geschafft haben und heute ein ganz normales Leben mit einem Beruf und einer Familie führen. Die ehemaligen Klienten suchen den Kontakt zu ihren ehemaligen Betreuern, als Ausdruck des Dankes für ihr "neues Leben".

Information:

Verein Wiener Sozialprojekte, Streetwork, 1120 Wien, Rotenmühlgasse 26/1;

Tel.: 810 13 01; Homepage: http://www.vws.or.at/streetwork/ .

Namen wurden von Streetwork geändert