Weihnachten stellt für viele Familien eine echte "Zerreißprobe" dar. Denn selten werden unsere Idealvorstellungen und deren Zerbrechlichkeit so offenbar wie in diesen Tagen. Dazu führen auch die höchst unterschiedlichen Vorstellungen der verschiedenen Generationen zum Fest des Jahres. Doch werden die meist zu hohen Erwartungen etwas zurückgeschraubt, ist ein familiärer Höhepunkt des Jahres fast schon garantiert.
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Weihnachten als Fest der Familie ist ein relativ junges Phänomen. "Beginnend im 19. Jahrhundert verdichtete es sich im Biedermeier und Vormärz, als auch Weihnachtsbaum und Adventkranz in Erscheinung traten", erklärt Ethnologe Karl Schipfer vom Österreichischen Institut für Familienforschung (ÖIF). Heutzutage sehen laut Umfrage nur 14 Prozent der Bevölkerung Weihnachten als "besinnlich-religiöses Fest", aber 35 Prozent als "besonderes Fest für die Familie".
Tatsächlich ist das Bedürfnis nach Harmonie im kleinen Kreis nie so groß wie in diesen Tagen. "Weihnachten spiegelt das Idealbild einer idealisierten Familie wieder", meint denn auch Ethnologe Schipfer. Doch kommt es dabei oft zu Generationsproblemen, schließlich hat jede Altersgruppe ihre eigene Idee vom Fest.
Das beginnt schon in der Vorweihnachtszeit, die ja praktisch jedes Jahr länger wird. "Für Kinder ist das durchaus erfreulich, schließlich ist die Vorfreude bekanntlich die schönste Freude, für die Elterngeneration bedeutet das aber eher ein Ansteigen des Drucks", erläutert Kinderpsychologin und ÖIF-Geschäftsführerin Brigitte Cizek.
In den Vorstellungen von Senioren wiederum ist die Vorweihnachts-, speziell die Adventszeit die ruhigste Zeit des Jahres. Bisweilen glorifizierende Erinnerungen kommen dann hoch, als alles noch wesentlich besinnlicher und ruhiger ablief. Darauf prallen aber die Interessen des Handels, der Einkaufsrummel in den Geschäftsstraßen. Clemens Schmoll vom Wiener Hilfswerk, der im Nachbarschaftszentrum 3 zum Großteil Senioren betreut, über seine Erfahrungen: "Mit den heutigen Weihnachten kommen ältere Menschen schwer zurecht. Manche steigen aus dem ganzen Trubel einfach aus und ziehen sich völlig zurück, andere versuchen mitzuhalten, was aber meist nicht so ganz gelingt."
Zeit als großes Geschenk
Schließlich sind da doch die eigenen Erfahrungen und Werte, die mit dem Fest verbunden werden. Viele Senioren wünschen sich jetzt einfach mehr Zeit im Kreis der Familie verbringen zu können, doch gerade Zeit wird ihnen oft nicht gegönnt. "Eine ältere Dame hat mir einmal erzählt, ihre Tochter habe sie gefragt, was für ein Geschenk sie sich denn wünsche. Doch dann hat sie erfahren, dass die Familie - ohne sie - über Weihnachten in die Karibik reist. Dabei hätte sich die alte Dame einzig eine gemeinsame Feier gewünscht."
Wahrlich kein Einzelfall, dabei führt der Mangel an Zeit gepaart mit - v.a. in Großstädten häufiger - sozialer Isolation zu Depressionen und Ängsten, die durch die lichtarmen Tage noch verstärkt werden. "Ältere Menschen haben gerade in dieser Jahreszeit dann oft Befürchtungen, nicht mehr ,nützlich' zu sein. Dabei könnte man ihnen doch recht einfach helfen", betont Schmoll.
"Zeit ist oft das größte Geschenk, das man einem älteren Menschen machen kann. Dabei ist es auch wichtig, selber ruhig zu werden und den Stress einmal beiseite zu lassen. Denn ältere Menschen sollen nicht das Gefühl bekommen, dass sie jemandem zur Last fallen." Für den Heiligen Abend wünsche sich die ältere Generation v.a. Ruhe und einen gemütlichen Ablauf, erklärt Schmoll.
Eltern als Hürde zum Fest
Auch für Kinder gibt es viele Hürden bis zum gelungenen Weihnachtsfest zu überwinden, wobei meist die eigenen Eltern im Wege stehen. Auch in sogenannten "intakten" Familien, wo oft ein gewisser "Perfektheitsdruck" vorherrscht, wie Kinderpsychologin Cizek erläutert. "Dann heißt es, sei endlich ruhig und brav, jetzt ist doch Weihnachten. Oder es kümmern sich plötzlich alle um einen, was sonst nicht der Fall ist. Doch Kinder können nicht gut damit umgehen, dass auf einmal alles anders sein soll."
Generell brauchen Kinder Kontinuität. Daher rät Cizek dazu, dass Kinder den Heiligen Abend dort feiern, wo sie auch die meiste Zeit des Jahres verbringen. Am nächsten Tag könnten sie - bei geschiedenen Elternpaaren - dann beim anderen Elternteil feiern.
Für Kinder aus "getrennten" Familien lebt zu Weihnachten der Schmerz besonders auf. Die Hoffnung auf ein Wunder - das Wiederzusammenfinden der Eltern - bleibt aber aus. Was das ganze Jahr nicht funktioniert, geht auch jetzt nicht plötzlich von selbst. Doch sieht Cizek hier auch Chancen. Gerade Weihnachten sei für Kinder die beste Zeit zur Bewältigung der Trauer. Zudem können nun auch Wege gefunden werden, wie das Fest am schönsten gleich "doppelt" gefeiert wird.
Eine große Gefahr besteht jedoch darin, dass die (Ex-)Partner ihre Probleme auf dem Rücken der Kinder austragen. "Dann heißt es etwa ,Wenn der Vater uns nicht sitzen hätte lassen, könnten wir gemeinsam Weihnachten feiern. Es kommt oft auch zu wirklich schlimmen Szenen, etwa, dass ein Vater Terror macht, und am Heiligen Abend eine Stunde an der Tür läutet, die Mutter es dem Kind aber verbietet, ihn reinzulassen", erzählt Cizek.
Doch mit ein wenig Mühe der Eltern kann das Weihnachtsfest des Jahres auch zum harmonischen familiären Höhepunkt des Jahres werden, ist Cizek überzeugt. So sollte den Kindern ein Rahmen vorgegeben werden, in dem sie den Ablauf der Tage mitentscheiden können. Bei der Auswahl der Geschenke sollte der mögliche finanzielle Umfang besprochen werden, Kinder haben durchaus Verständnis für finanzielle Engpässe. "Im Mittelpunkt sollten aber ohnedies Liebe und Zuwendung stehen", betont Cizek.