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Chaos im polnischen Parlament

Von Martyna Czarnowska

Politik

Die Pläne der konservativen Regierungspartei treiben in Warschau tausende Menschen auf die Straße.


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Warschau. Blockade des Rednerpults, Proteste vor dem Parlament, Politiker unter Polizeischutz: Rund um das Abgeordnetenhaus in Warschau überschlugen sich die Ereignisse. Nach einer turbulenten Sitzung in der Nacht auf Samstag gingen Stunden später erneut tausende Menschen auf die Straße, um gegen die nationalkonservative Regierungspartei PiS (Recht und Gerechtigkeit) von Jaroslaw Kaczynski zu demonstrieren. Sie versammelten sich vor dem Präsidentenpalast sowie dem Sejm, der polnischen Volksvertretung.

Dort war es am Freitagabend zum Eklat gekommen. Es begann damit, dass
Parlamentspräsident Marek Kuchcinski dem Abgeordneten Michal Szczerba von der oppositionellen Bürgerplattform (PO) das Rederecht entzog und ihn von der Sitzung ausschloss. Szczerba hatte auf dem Pult einen Zettel angebracht, auf dem er "Freie Medien" forderte. Denn die Bewegungsfreiheit der Journalisten im Parlament soll eingeschränkt werden: Künftig darf auf der Besuchergalerie nicht mehr gefilmt werden, sollen Pressekonferenzen und Interviews nur noch in einem Nebentrakt stattfinden dürfen. Und die Proteste der Medienvertreter dagegen setzten die oppositionellen Mandatare im Plenarsaal fort.

Staat im Umbau

Nach dem Ausschluss Szczerbas gingen die Wogen hoch. Dutzende Abgeordnete formierten sich rund um das Rednerpult, forderten die Rückkehr ihres Kollegen, skandierten "Freie Medien" und "Demokratie", stimmten schließlich die polnische Nationalhymne an. Die Sitzung wurde in einen anderen Saal verlegt, wo über den Haushaltsentwurf für das kommende Jahr abgestimmt wurde. Die Gültigkeit des Votums wurde von Teilen der Opposition in Frage gestellt.

In der Zwischenzeit kamen hunderte Menschen vor dem Parlamentsgebäude zusammen, um gemeinsam mit dem "Komitee zur Verteidigung der Demokratie" (KOD) gegen die PiS-Regierung zu demonstrieren. Einige Ausgänge wurden blockiert; erst gegen drei Uhr nachts verließen PiS-Politiker das Gebäude – nachdem die Polizei der Autokolonne den Weg freigemacht hatte.

KOD hatte schon zuvor Protestmärsche organisiert – da PiS mit seinen Vorhaben schon zuvor für Unmut gesorgt hatte. Seit einem Jahr schwelt der Streit rund um Gesetzesänderungen für den Verfassungsgerichtshof; ein Medien- und Demonstrationsgesetz löste ebenfalls Verärgerung aus. Kritiker werfen dem Kabinett von Premier Beata Szydlo und vor allem dem PiS-Vorsitzenden Kaczynski vor, den Staat nach eigenen Vorstellungen umbauen zu wollen. Die EU-Kommission hat wegen des Zwists um das Verfassungsgericht schon ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen eingeleitet.

Abgeordnete im Sitzstreik

So ist ein Ende der Proteste nicht absehbar – auf der Straße und im Sejm. Während am Samstag die Menschen in Warschau ihre Demonstrationen fortsetzten, kündigten Oppositionspolitiker an, die Arbeiten im Parlament weiterhin zu behindern. "Wenn PiS keinen Rückzieher macht, werden wir weiterhin das Rednerpult blockieren", erklärte der Vorsitzende der Partei Nowoczesna (Moderne), Ryszard Petru. Einige PO-Mandatare waren da schon im Abgeordnetenhaus in einen Sitzstreik getreten. Der werde in den kommenden Tagen weitergeführt, verkündete Vorsitzender Grzegorz Schetyna.

Die Regierungspartei kommentierte das mit Vorwürfen an die Opposition. Diese wolle schlicht die Macht im Land übernehmen, sagte PiS-Sprecherin Beata Mazurek der polnischen Presseagentur PAP. Ähnlich hatte sich Innenminister Mariusz Blaszczak geäußert. Staatspräsident Andrzej Duda zeigte sich über die Vorgänge "beunruhigt" und appellierte an "alle politischen Seiten", die Emotionen zu zügeln. Allerdings hat er selbst schon für Empörung gesorgt. Im Konflikt um das Verfassungsgericht hatte er mit umstrittenen Richterernennungen ebenfalls eine Rolle gespielt.