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Chaos um neue Chefarzt-Rezepte

Von Werner Grotte

Wissen

Die neue Chefarzt-Regelung hat vor allem in Wien bereits zu gehörigem Wirbel geführt: Chefarztpflichtige Medikamente können nämlich vom Arzt seit 1. Jänner nur noch verschrieben werden, wenn dieser vorher per Fax-Dokumentation das Sanctus der Gebietskrankenkasse eingeholt hat. Und das kann Stunden, ja sogar Tage dauern. Die Zielrichtung der Gesundheitsministerin - "das Rezept soll laufen, nicht der Patient" - wurde umgeleitet in: Der Arzt läuft, der Patient wartet.


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"Ich persönlich brauche 22 Minuten, um das Formular auszufüllen, das ich für jedes Rezept benötige", erzählt Wiens Ärztekammerpräsident Walter Dorner und gibt gleich ein Beispiel aus der Praxis: "Ich muss darin etwa drei verschiedene Alternativmedikamente zur verschriebenen Arznei anführen und begründen, warum ich diese nicht verschrieben habe". Hat der Arzt den Fragebogen ausgefüllt, muss er ihn an die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) faxen und auf ein positives Retour-Fax warten. Erst damit kann der Patient in die Apotheke.

"Ich frage mich, wie das funktionieren soll - von meinen rund 30 Patienten pro Tag brauchen einige solche Rezepte. Sollen die stundenlang auf das Fax warten oder bei mir übernachten?", fragt sich Allgemeinmediziner Kurt Blaas aus Wien-Neubau. Er betreut rund 1.600 Patienten, in Urlaubszeiten wie jetzt fast doppelt so viele, und hat täglich bis 17 Uhr oder auch länger Ordination. Eine Zeit, wo man bei der Krankenkasse kaum noch jemanden erreicht.

Ärzte-Präsident Dorner kann dies nur bestätigen: "Etliche Wiener Ordinationen haben für uns getestet - kein Fax kam in für Patienten zumutbarer Zeit zurück, viele am nächsten Tag oder gar nicht". Dabei sollte die neue Regelung gerade den Patienten Erleichterung bringen: "Einen Übergangs-Modus wie diesen haben wir gebraucht wie einen Kropf", verhehlt Josef Probst, Geschäftsführer des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, seinen Ärger über die "seltsame Regelung" nicht: Das habe man der Ministerin rechtzeitig mitgeteilt, sie habe sich aber nun so entschieden, "und das müssen wir in einer Demokratie akzeptieren", appelliert Probst an alle Beteiligten, "die Serviceleistungen gegenüber den Versicherten so komplikationslos wie möglich zu gewährleisten", mahnt Probst.

Laut WGKK funktioniert das System so: Der neue Erstattungs-Kodex teile Medikamente im Ampel-System in Grün-Box, Gelb-(Hell- und Dunkel) sowie Rot-Box ein, zusätzlich gebe es eine No-Box. Letztere enthalte alle jene Mittel, die generell nicht von der Kasse bezahlt werden (Pille, Vitaminpräparate, etc.), die Verschreibung roter oder dunkelgelber Arzneien müsse der Arzt "ausführlich dokumentieren" und im Vorhinein genehmigen lassen; "ein Procedere, das sicher nicht in einer halben Stunde zu bewerkstelligen ist", stellt Dagmar Holst von der ärztlichen Direktion der WGKK klar. Wirklich funktionieren werde das Procedere erst mit der flächendeckenden Einführung der sogenannten "e-Card", was in Wien ab Ende Mai 2005 in Bezirks-Etappen stattfinden soll.

Chaotische Auswirkungen

In der Praxis herrscht aber vielerorts schon jetzt Chaos: So darf der "Wahlarzt", also jener Arzt des Vertrauens, zu dem man auch privat geht, nur noch Medikamente aus der sogenannten "Grün Box" verschreiben, anderenfalls droht ihm der völlige Entzug des Verschreibungsrechtes.

Was das bedeutet, haben Patienten wie die Wienerin Sissi L. in den letzten Tagen am eigenen Leib erlebt: Die an Multipler Sklerose (MS) leidende Angestellte hat ihr bisher jahrelang vom praktischen (Wahl-)Arzt bezogenes, nicht chefarztpflichtiges Rezept nun nicht mehr von ihm bekommen. "Ich wurde zur Bezirksstelle der Gebietskrankenkasse geschickt, dort durfte ich trotz meiner chronischen Krankheit 50 Minuten lang warten und zusehen, wie eine Frau vor mir, die schon länger wartete, kollabierte". Vom Chefarzt selbst wurde sie dann, ebenso wie ein Mann, der von der Apotheke wegen eines Insulinmedikamentes hergeschickt worden war, abgewiesen: "Wir sind für sie nicht zuständig".

Die Inhaberin einer großen Wiener Apotheke bestätigte gegenüber der "Wiener Zeitung" das Chaos: "Wir kennen uns auch nicht aus. Sicher ist nur, dass wir nicht mehr, wie bisher, chefarztpflichtige Rezepte sammeln und dann genehmigen lassen dürfen". Über den Inhalt von (Rote Box und No Box) herrscht auch wenig Freude: "Viele erprobte und auch preisgünstige Arzneien wurden gestrichen", klagt Dorner.

Im Gesundheitsministerium (BMGF) will man den Schwarzen Peter nicht auf sich sitzen lassen: "Wir haben bereits vor einem Jahr eine Änderung zur Entlastung der Patienten gefordert. Fachleute von Ärztekammer und Krankenkassen hatten Zeit genug, sich eine adäquate Lösung einfallen zu lassen", betont Christoph Hörhahn, Sprecher von Ministerin Maria Rauch-Kallat. Man habe beim letzten Gespräch im Herbst registriert, dass die von den Kassen angestrebte Fax-Lösung seitens der Ärzte vehement abgelehnt werde und erwartet, dass die beiden Gremien sich einigen werden. In der Verordnung selbst wurde den Beteiligten daher freigestellt, "eine für alle Seiten praktikable Lösung zu finden", so Hörhahn, "das jetzige Chaos haben wir nicht erwartet". n

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