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Chaos - wie für den IS geschaffen

Von Klaus Huhold

Politik

Der Islamische Staat wird im Bürgerkriegsland Libyen immer stärker. Nun soll eine Regierung der nationalen Einheit gebildet werden, um den Vormarsch der Terrormiliz zu stoppen.


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Tripolis/Wien. Es ist ein Bild, das den Niedergang Libyens symbolisiert: Die Häuser an der Hafenstraße der Küstenstadt Bengasi sind voller Einschusslöcher, innen ausgehöhlt, viele haben auch keine Fensterscheiben mehr, teilweise sind sie eingestürzt. Zerstört wurden die Gebäude bei Gefechten zwischen Milizen regionaler Warlords und bewaffneten islamistischen Einheiten - auch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die in Libyen zuletzt immer mehr erstarkt ist, soll an den Kämpfen beteiligt gewesen sein.

Nicht nur Bengasi liegt in Trümmern, ganz Libyen ist im Chaos versunken. Es ist nicht gelungen, nach dem Tod von Muammar Gaddafi 2011 stabile Strukturen aufzubauen. Ganz im Gegenteil: Dutzende bewaffnete Gruppen kämpfen seitdem in dem Bürgerkriegsland um regionale Vorherrschaften. Es handelt sich dabei um Einheiten von Warlords, dschihadistische Verbände und regionale Gruppen.

Einige dieser Milizen sind mit einem der beiden Parlamente verbündet. Dass sich zwei Abgeordnetenhäuser gebildet haben, ist das nächste Problem. Eines tagt in Tobruk, setzt sich aus verschiedenen regionalen Gruppen und ehemaligen Gaddafi-Verbündeten zusammen. Diese Parlamentarier wurden aus der Hauptstadt Tripolis vertrieben - von rivalisierenden Politikern und deren bewaffneten Gruppen, die eine Art Gegenparlament gebildet haben.

Hier vereinen sich islamistische Kräfte wie die Muslimbrüder und konservative Geschäftsleute. Am Donnerstag wurde nun aber ein Schritt gesetzt, der zumindest ein wenig Hoffnung auf Frieden bringen soll: Unter UN-Vermittlung haben Politiker der beiden Parlamente eine Vereinbarung unterzeichnet, die die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit vorsieht. In Folge soll mit internationaler Hilfe eine nationale Armee aufgebaut und der IS endlich schlagkräftig bekämpft werden. Der UN-Sondergesandte, der Deutsche Martin Kobler, sprach von einem "historischen Tag für Libyen". Gleichzeitig räumte er aber ein, dass es in der Natur einer derartigen Vereinbarung liege, "dass nicht jeder vollkommen glücklich mit ihr ist". Bis zuletzt hatte es bei vielen libyschen Politikern heftige Widerstände gegen das Abkommen gegeben, einige verweigerten die Unterschrift.

Der IS könnte nun Angriffe auf Ölfelder starten

Die UNO-Diplomaten haben zäh verhandelt. Die internationale Gemeinschaft ist schon lange wegen des Chaos in dem Ölstaat alarmiert, besonders Europa macht sich Sorgen: Libyen ist eines der wichtigsten Transitländer für Flüchtlinge, die nach Europa gelangen wollen. Es gab aber zuletzt keine handlungsfähige Regierung, mit der die EU Maßnahmen hätte koordinieren können. Zudem spielen die anarchistischen Zustände in Libyen dem Islamischen Staat enorm in die Hände. Die Terrormiliz hat nur rund 300 Kilometer vor Europas Küste Fuß gefasst. Die Hafenstadt Sirte und das Küstengebiet rundherum kontrolliert der IS bereits, auch in Derna, einer weiteren wichtigen Stadt, soll der Islamische Staat im Vormarsch sein.

Er breitete sich zuletzt immer mehr aus, teils weil seine internationalen Kämpfer Gebiete erobert, teils weil sich ihm einheimische Gotteskrieger angeschlossen haben. Nun wird spekuliert, dass als Nächstes verschiedene Ölfelder auf der Liste des IS stehen. Der IS hat weitere Anschläge in Europa angekündigt und könnte für deren Vorbereitung Libyen als Operationsbasis nutzen.

Zudem spekulieren Diplomaten, dass sich immer mehr hochrangige IS-Kräfte nach Libyen zurückziehen, da die Extremisten im Irak und in Syrien durch die Angriffe der internationalen Allianz zusehends in Bedrängnis kommen. Bei den Verhandlungen mit der UNO haben sich die libyschen Politiker dazu bekannt, dass sie den IS bekämpfen wollen. Sie forderten auch gleich, dass die UNO das gegen Libyen verhängte Waffenembargo aufhebt. Allerdings gibt es große Zweifel, dass die libyschen Parteien mit neuen Waffen tatsächlich, wie versprochen, eine Armee aufbauen und den IS bekämpfen werden. Vielmehr steht die Befürchtung im Raum, dass die libyschen Warlords aufrüsten wollen, um sich erneut an die Gurgel zu gehen.