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Chapeau, Wladimir!

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Abserviert zu werden, tut immer weh - im wirklichen Leben wie in der Politik. Umso mehr, wenn man die eigene Anziehungskraft für geradezu unwiderstehlich hält. Genau dies ist nun der Europäischen Union im Werben um Kiew passiert. Die zwischen Ost und West tief gespaltene Ukraine musste sich entscheiden: Brüssel statt Moskau, dafür lockte im Gegenzug ein einmalig weitreichendes Assoziierungsabkommen mit der EU.

Der aktuellen, pro-russischen Machtelite war das Hemd allerdings näher als der Rock. Brüssels Verlockungen sind Zukunftsmusik, die wirtschaftliche, vor allem energiepolitische Abhängigkeit der Ukraine von Russland spielt dagegen in der tristen Gegenwart. Zumal 2015 Präsidentschaftswahlen anstehen und im Jahr darauf das Parlament neu gewählt wird. Ein Bruch mit Russland, das massiven Druck ausübte, das EU-Abkommen nicht zu unterzeichnen, hätte die Lebensbedingungen der rund 45 Millionen Bürger des Landes massiv verschlechtert. Und zwar unmittelbar. Auch in der Ukraine werden Regierungen, die für explodierende Energiekosten und Arbeitslosenzahlen verantwortlich sind, mit nassen Fetzen aus dem Amt gejagt.

Und sollte jetzt in Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten das Klagen anheben, Kiew hätte sich gegen europäische Werte und für russisches Gas entschieden, so sollte zumindest ansatzweise der eigene Umgang mit Moskau kritisch hinterfragt werden: Für gute Beziehungen mit dem neuen Zaren hat auch hier so mancher schon seine Großmutter verkauft, bildlich gesprochen natürlich.

Nur Wladimir Putin kann rundum zufrieden sein: Russland meldet sich - trotz seiner durch Korruption und Misswirtschaft am Boden liegender Wirtschaft und desaströsen demografischen Entwicklung - Zug um Zug zurück auf der internationalen Bühne: Moskau sitzt mit am Tisch, wenn es um den Atomstreit mit dem Iran oder die Suche nach einer Lösung für Syrien geht. Und zwar nicht bloß als Anhängsel des Westens, sondern als eigenständiger Akteur mit eigenen Interessen. Und zum Drüberstreuen redet alle Welt von den US-Spionen der NSA, aber keiner von den russischen.

Chapeau, Wladimir!

Europa dagegen muss sich eingestehen, dass seine Strahlkraft vorerst an der Ostgrenze von Polen und der Slowakei endet.