Zum Hauptinhalt springen

Charakter-Bildung

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Das Parlament wird gerne als verlängerter Arm der Regierung bezeichnet. In der österreichischen Realverfassung ist dies oft richtig, demokratiepolitisch ist der Satz allerdings Sprengstoff. Denn die gewählten Abgeordneten haben die Aufgabe, ihnen vorgelegte Gesetze zu bewerten und zu beschließen - und gegebenenfalls zu verändern. In der politischen Kommunikation kam das Parlament lange Zeit kaum vor, auch die Medien konzentrierten sich auf die Regierung.

Auch aus diesem Grund bekam Doris Bures im Vorfeld ihrer Wahl zur Nationalratspräsidentin zu hören, dass sie parteipolitisch agieren würde. Sie wäre bloß Faymanns verlängerter Arm.

Nach der ersten Sitzung erntet sie nun aus allen Fraktionen Lob für ihre Vorsitzführung.

Karl-Heinz Kopf als Zweiter Nationalratspräsident wiederum hat in den vergangenen Monaten breites Ansehen gewonnen, weil er mit großer Selbstverständlichkeit zeitliche Lücken ausfüllte, die Barbara Prammers Krankheit riss - und in dieser Zeit immer mit Prammer in Verbindung stand. Er agierte als Präsident, nicht als ÖVP-Politiker. Da er zuvor Klubobmann seiner Partei war, kein kleiner Schritt.

Der Dritte im Bunde, Norbert Hofer, wollte als FPÖ-Mandatar 2008 gar noch das NS-Verbotsgesetz abschaffen. Mittlerweile gilt er als das "freundliche Gesicht" der Freiheitlichen, und bei der Bures-Wahl sprach er vom "Respekt gegenüber Andersdenkenden".

Diese Form der Charakterbildung macht sich langsam auch in den Parlaments-Fraktionen breit. Die Grünen, vor allem die Neos, sind hier Vorreiter. Als Opposition pochen sie auf ein größeres Selbstbewusstsein der Mandatare, auch auf eine würdevolle Wahl der Worte.

Genau das benötigt die Republik. Ein selbstbewusstes Parlament, das die vorgelegten Gesetze kritisch hinterfragt - und nicht bloß durchwinkt.

Bei SPÖ und ÖVP stößt dies an "natürliche Grenzen", denn Kanzler und Vizekanzler sind ja auch die Partei-Chefs. Doch die Debatte um Frauen-Quoten in der SPÖ zeigt, dass Befehle "von oben" immer stärker hinterfragt werden. Das ist eine gute Entwicklung.

Wenn nun noch die Europa-Abgeordneten Rederecht im Nationalrat erhalten und deren Expertise im Hauptausschuss (EU) eingeholt wird, hat der Nationalrat die Chance, sich stärker zu profilieren. Das würde mithelfen, die desaströsen Imagewerte von Politikern zu verbessern.