Tunesiens Revolutionäre stehen ohne Führer da. | Tunis/Paris. (dpa) Tunesiens erfolgreiche Revolutionäre lassen nicht locker: Sie wollen eine neue Regierung, ohne Vertreter der alten Garde. Doch die angekündigte Kabinettsumbildung hat auf sich warten lassen. Hinter den Kulissen wurde jedenfalls zäh verhandelt. Premier Mohammed Ghannouchi ist offenbar bereit, die Amtsinhaber der drei Schlüsselressorts des Äußeren, des Inneren und der Verteidigung auszutauschen. Diese Ministerien werden noch von alten Gefolgsleuten des gestürzten Präsidenten Zine El Abidine Ben Alis geleitet.
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Die Übergangsregierung, die umgebildet werden soll, hatte von Anfang an einen Geburtsfehler: Ursprünglich sollte sie 18 Kabinettsmitglieder haben, am Ende waren es über 30. Der Ministerpräsident und fünf Minister auf Schlüsselposten hatten ihre Ämter schon unter Ben Ali inne. Ganz ohne die Erfahrung der bisherigen Minister gehe es nicht, hieß es. Doch im Volk kam die Botschaft nicht an.
"Weg mit der Regierung!", skandieren Demonstranten immer wieder in Tunis. Der Protest bekam eine neue Dimension, als zahlreiche Tunesier aus den ärmeren Gegenden im Inland anreisten, um in der Hauptstadt ihrem Unmut Luft zu machen. Einige kamen aus Sidi Bouzid, dem Ort, der mittlerweile als Ursprungsort der Revolution gilt.
Dort hatte sich ein junger Mann öffentlich selbst verbrannt. Die Legende machte ihn schnell zu einem Hochschulabsolventen, der sich als Obsthändler durchschlug. Später stellte das sich als übertrieben heraus, doch der 26-Jährige war längst zur Symbolfigur einer enttäuschten Jugend geworden, die in Tunesien keine Perspektive sah.
Ammar winkt ab
Abgesehen von dem verzweifelten Selbstmörder fehlt es der tunesischen Revolution an einer Persönlichkeit, hinter der die Massen sich scharen könnten. Die Opposition war von Ben Ali so kleingehalten worden, dass keiner ihrer Vertreter sich als Alternative zu ihm aufdrängt. Kurzfristig sah es so aus, als könne Heereschef Rachid Ammar diese Rolle einnehmen. Er ist zum Volkshelden geworden, da die Armee auf der Seite der Demonstranten stand und teilweise auch gegen Ben Alis brutale Polizeieinheiten vorgegangen ist. Doch Ammar machte schnell deutlich, dass er sich an die Verfassung halte und keinesfalls die Machtübernahme anstrebe.
Auch die tunesische Gewerkschaft UGTT gilt als wichtige Kraft, die im künftigen Tunesien eine größere Rolle spielen könnte. Einen charismatischen Führer hat sie aber nicht.