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"Chavez hat uns den Stolz zurückgegeben"

Von WZ-Korrespondentin Ruth Reichstein

Politik

Hugo Chavez ist der Held der Armen. | Mittelschicht lehnt den sozialistischen Präsidenten ab. | Caracas. Venezuela ist ein geteiltes Land. Die Armen profitieren von der Politik des sozialistischen Präsidenten Hugo Chavez. Doch die wohlhabenden Schichten kritisieren die Korruption und Verschwendung der Regierung. Bei den Präsidentenwahlen am Sonntag steht die Politik von Chavez auf dem Prüfstand. Aber obwohl sich die zerstrittene Opposition diesmal auf einen Einheitskandidaten geeinigt hat, dürfte dem Linkspopulisten ein weitere sechsjährige Amtszeit sicher sein.


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Die Aussicht ist wunderbar. "Wahrscheinlich die schönste in ganz Caracas", meint Emilia und strahlt übers ganze Gesicht. Kilometerweit ziehen sich Häuser, Wald und Gebirge. Der Himmel ist unglaublich blau. Die 75-Jährige ist stolz auf ihre Dachterrasse hoch über den Dächern der venezolanischen Hauptstadt. Die kleine, robuste Frau mit den blond gefärbten, kurz geschnittenen Haaren breitet ihre Arme aus. "Hier drüben, das ist das Avila-Gebirge, rechts liegt das Militärkrankenhaus und da hinten, im Osten, da wohnen die Reichen." Sie sagt den letzten Satz mit Verachtung in der Stimme.

Ihr Haus hat schon drei Stockwerke. Demnächst will sie noch eines draufsetzen, sagt Emilia, damit ihre inzwischen erwachsenen fünf Kinder mit ihren Familien ein bisschen mehr Platz haben.

Hier, im Viertel El Observatorio im Westen von Caracas wollen die meisten nichts wissen von "denen im Osten". Im Osten, da wohnen nicht nur die Reichen, sondern auch die von der Opposition, die Anti-Chavisten. "Die mögen den Präsidenten nicht, weil er so viel für die Armen tut. Sie wollen ihren Reichtum nicht teilen. Aber wir, wir lieben unseren Präsidenten", sagt Emilia.

Hilfe für die Ärmsten

An den Häuserwänden kleben überall Plakate mit dem Konterfei des charismatischen Sozialisten. Regelmäßig gehen Emilia und ihre Freunde für die Regierung demonstrieren. Erst am vergangenen Wochenende haben sie - gemeinsam mit Zehntausenden Chavez-Anhängern - die wichtigsten Straßen in Caracas blockiert, um ihre Stärke zu beweisen.

El Observatorio gehört zu den Armenvierteln von Caracas. Es liegt auf einer Anhöhe am Rande der Stadt. Die Häuser kleben an den Bergen, übereinander gestapelt in einer wilden Unordnung. In den Straßen stapelt sich der Abfall. Genau hier, unter den Armen und Benachteiligten der Gesellschaft, hat Chavez seine Anhänger. "Er hat viel verändert in unserem Viertel. Dank unseres Präsidenten haben wir ein besseres Leben", sagt Emilia. Und tatsächlich hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan in den Straßen rund um ihr Haus. In der Mission Robinson lernen Analphabeten lesen und schreiben. Daneben, im Casa Alimentaria, verteilt die Regierung kostenlos Essen an diejenigen, die sich selbst nicht versorgen können. In einem anderen Projekt können Erwachsene ihren Schulabschluss nachholen und studieren. Und mit Hilfe von günstigen, meist staatlichen Mikrokrediten konnten viele Bewohner von El Observatorio ihre eigenen Häuser kaufen.

Geteiltes Land

Joseline kann darüber nur den Kopf schütteln. Die junge Frau streicht langsam ihre langen, blonden Haare nach hinten und spitzt die Lippen. "Wir haben zurzeit nur eine Regierung für die Armen. Das Land, die Bevölkerung ist geteilt. Überall gibt es Parallelsysteme - für die Armen auf der einen und die Reichen auf der anderen Seite."

Joseline wohnt nur ein paar Kilometer Luftlinie von Emilias Haus entfernt, aber die Welt im Stadtteil Chacao ist eine andere. Die Straßen sind sauber und voll mit großen amerikanischen Autos. Es ist laut und die Menschen laufen mit dicken Einkaufstüten zu den wartenden Taxis.

In riesigen Einkaufszentren bieten amerikanische und europäische Marken ihre Produkte an. Joseline sitzt in einem Café und trinkt einen Cappuccino. Ständig klingelt ihr Handy. Freunde fragen sie nach ihrem Abendprogramm oder laden sie fürs Wochenende auf eine Party ein. Joselines Tage sind prall gefüllt. Sie arbeitet in der Kommunikationsabteilung einer großen Ölfirma und studiert in Abendkursen Betriebswirtschaft, um ihre Karrierechancen zu verbessern. Zeit für ihre Familie und Freunde habe sie nur am Wochenende, sagt sie.

Die junge Frau lächelt ununterbrochen, selbst wenn sie sich aufregt. "Die Regierung ist korrupt. Sie verschwendet das Geld. Rosales, das ist die Chance auf einen Wechsel."

Manuel Rosales ist der Herausforderer von Hugo Chavez. Die Opposition hat nur einen einzigen Kandidaten aufgestellt, um die Chancen auf einen Sieg zu verbessern. Zurzeit liegt Rosales in den Umfragen trotzdem noch rund 20 Prozent hinter Hugo Chavez. "Chavez versucht alles, um den Sieg der Opposition zu verhindern. Letztendlich wird er sogar die Wahlergebnisse fälschen", meint Joseline.

Opposition in Blau

Auch sie geht regelmäßig auf die Straße - gegen Chavez. "Das letzte Mal waren wir über 70.000 Menschen. Das ist enorm", erinnert sie sich und zieht ihre blaue Baseball-Mütze aus der Tasche. "Atrévete!", steht darauf "Trau Dich!". Es ist der Wahlslogan der Opposition. "Wenn wir durch Caracas marschieren, dann ist alles blau. Das kann auch Chavez nicht ignorieren."

Joseline hat nichts gegen die Sozialprogramme von Chavez. "Aber er tut so, als wäre er Gott, der seine Gaben verteilt. Dabei hat die Regierung unglaublich viel Geld. Sie könnte noch viel mehr tun", meint die junge Frau. Auch sie hat von der Regierungspolitik profitiert und einen günstigen Kredit für eine eigene Wohnung bekommen. Jeden Monat bezahlt der Staat einen Teil ihrer Zinsen. "Aber das hat nichts mit meiner politischen Überzeugung zu tun. Es ist die Pflicht der Regierung, jungen Menschen zu helfen", verteidigt sich Joseline. Wochenlang ist sie von Chavez-Getreuen befragt worden. Der Geheimdienst überprüfte ihre Familie. Sie haben alle ein bisschen geflunkert, denn von Chavez Programmen profitiert nur der, der ihm auch seine Stimme gibt. "Der Kredit war wichtig. Es wäre für mich allein viel zu teuer gewesen, eine Wohnung zu kaufen."

Jetzt sind alle gleich

"Wenn Du gegen Chavez bist, solltest Du das hier lieber nicht laut sagen. Das ist gefährlich", meint Emilia und lacht. Sie hat Tee gekocht und sitzt mit ihrer Tochter und ein paar Freundinnen im Wohnzimmer. Der Fußboden ist kahl, das Sofa abgenutzt. Emilia hat keine Arbeit mehr. Sie bekommt ein bisschen Unterstützung vom Staat und von ihren Kindern.

Aber ihr Haus gehört zu den besseren hier in El Observatorio. Es ist aus Zement gebaut und hat fließendes Wasser. Die Fenster sind einfache Löcher in der Wand, aber ein Fernseher steht im Wohnzimmer und jeder Raum ist in einer anderen leuchtenden Farbe gestrichen.

"Wir sind nicht schlechter als die im Osten. Wir haben schöne Häuser und unsere eigene Kultur. Wir sind alle gleich viel wert", meint Visalina, die beste Freundin von Emilia. Stolz sei sie auf ihr Viertel, sagt die rothaarige Frau. Auf ihr Viertel und auf El Presidente. Bei seinem Namen nennen sie ihn hier nie - das sei zu respektlos, meint Visalina. Schließlich habe er ihnen ihren Stolz zurück gegeben. "Früher haben die Staatsbeamten mit Verachtung auf uns herab gesehen. Heute werden alle gleich behandelt - egal, ob wir Geld haben oder nicht."

Die beiden Frauen träumen davon, Chavez einmal persönlich zu begegnen.

Joseline hat das schon hinter sich. Den Scheck für ihre Wohnung hat ihr nämlich der Präsident persönlich überreicht - vor ein paar Monaten in einem großen Theater in Caracas. "Das war eine wahnsinnige Show. Ich bin gegen seine Politik, aber als Mensch ist Chavez angenehm. Es gab überhaupt keine Barriere. Er umarmt Dich und Du hast nicht das Gefühl, dass er ein Staatspräsident ist. Er ist einfach ganz normal und sehr freundlich", muss selbst Joseline zugeben. Ein Foto von der Zeremonie hat sie zuhause in einer Schublade eingeschlossen.

Ob sie in Caracas bleiben möchten? - "Ja", sagt Joseline, "ich mag Caracas, ich mag meine Familie und meine Freunde. Aber wenn Chavez noch einmal gewinnt, dann wandere ich aus."