Franziskus scheute sich nicht, auch gefährlichste Armenviertel zu besuchen.
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Buenos Aires. Argentiniens Volkshelden bekommen Konkurrenz von einem alten Herrn. Diego Maradona hofft auf eine Audienz in Rom, und Weltfußballer Lionel Messi vom FC Barcelona ist begeistert: "Ein argentinischer Papst. Welche Freude. Franziskus, mich würde es bezaubern, Ihnen die Weltmeisterschaft 2014 zu widmen." Fußball ist nun einmal die zweitwichtigste Religion in Argentinien.
Doch mit der Wahl von Kardinal Jorge Mario Bergoglio zu ihrem neuen Oberhaupt hat die katholische Kirche nicht nur Maradona und Messi glücklich gemacht. Sie verändert auch die politische Landschaft Lateinamerikas. Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner hat so manchen Strauß mit dem ehemaligen Erzbischof von Buenos Aires ausgefochten. Als sie vor knapp drei Jahren für die Homo-Ehe kämpfte, ließ Bergoglio Mahnwachen vor dem Parlament aufbauen. Kirchner schimpfte, das seien Verhältnisse wie zu Zeiten der Inquisition. Doch unter dem Eindruck der Papstwahl konzentriert sich die Präsidentin nun auf Übereinstimmungen: "Wir haben gemeinsam für die Armen gekämpft." Und sie nimmt ihn auch gleich in die Pflicht. Der neue Pontifex möge doch für einen neuen Dialog im Falkland-Konflikt mit Großbritannien sorgen, schreibt sie ihrem Landsmann im Stammbuch. Das ist ein erster Fingerzeig, was auf den Mann vom "Ende der Welt" (wie er selbst sagte) bald zukommen könnte. Lateinamerika sieht in ihm einen Fürsprecher.
In Fragen der Sexualmoral ist der Papst erzkonservativ
Knapp die Hälfte der Katholiken weltweit kommt aus Lateinamerika. Mit Franziskus wendet die Kirche ihren bisher stets auf Europa fokussierten Blick nun erstmals der "Neuen Welt" zu. Es ist eine logische Entscheidung. Lateinamerikas Kirchen sind noch voll. Teenager schämen sich nicht, religiöse Motive aufs Handy zu laden. Der Kirchgang am Sonntag mit der Familie gehört bei vielen zum Standardprogramm. Lateinamerikas führende Politiker sowohl aus dem linken als auch aus dem rechten Lager sind nahezu durchwegs katholisch und präsentieren sich in der Öffentlichkeit als bekennende Christen.
Allerdings gerät die katholische Kirche zunehmend unter Druck: Evangelikale Kirchen erfreuen sich regen Zulaufs. Ein lateinamerikanischer Papst mit Strahlkraft könnte diese Entwicklung bremsen. Es liegt im ureigenen Interesse des Vatikan, sein künftig wichtigstes Einzugsgebiet zu verteidigen.
Papst Franziskus ist ein typischer Vertreter der lateinamerikanischen Kirche: in Fragen der Sexualmoral erzkonservativ, im Bereich der sozialen Gerechtigkeit progressiv. Der neue Papst wird viele reformwillige Katholiken zugleich enttäuschen und begeistern. Im Gegensatz zum deutlich liberaleren Europa ist die Mehrheit der Lateinamerikaner nämlich in Fragen der Sexualmoral eher konservativ eingestellt.
Deutlich besser wird in Europa die Haltung des "Kardinals der Armen" in sozialen Fragen ankommen. Bergoglio prangerte oft die soziale Ungerechtigkeit in Lateinamerika an, verurteilte die Drogenmafia scharf und verzichtete bewusst auf prunkvolle Gesten und Machtinsignien. Stattdessen fuhr er in Buenos Aires mit Bus und Bahn. So etwas kommt an in Südamerika. Jose Luis Rey, ein früherer Mitstreiter des neuen Papstes in der Missionsarbeit, berichtet, Bergoglio habe sich nicht gescheut, auch die schmutzigsten Hütten der Armenviertel zu besuchen. "Aus der Entfernung siehst du die Stadt besser", habe er gesagt, wenn es wieder einmal weit hinaus ging in die Slums von Buenos Aires. Dabei habe der neue Papst auch die gefährlichsten Stadtviertel nicht gescheut, um an Gottesdiensten teilzunehmen.
Vorwürfe aus Zeiten der Militärdiktatur
Sollte Franziskus tatsächlich den Fokus auf den Kampf für soziale Gerechtigkeit legen, könnte sich die politische Landschaft Lateinamerikas verändern. Zuletzt hatte sich Venezuelas verstorbener Präsident Hugo Chávez in weiten Teilen der lateinamerikanischen Bevölkerung das Prädikat "Kämpfer für die Rechte der Armen" erarbeitet, während Boliviens Präsident Evo Morales als legitimer Vertreter der indigenen Bevölkerung wahrgenommen wird. Einen Kirchenführer dieser Güteklasse hat Lateinamerika derzeit nicht bieten. Der letzte prominente Kirchenvertreter, der außerhalb seines Landes als Kämpfer gegen die Armut wahrgenommen wurde, war der vor mehr als 30 Jahren erschossene Erzbischof Oscar Romero von San Salvador. Er besitzt inzwischen Kultstatus in Lateinamerika.
Ein lateinamerikanischer "Papst der Armen", der sogar noch eine inhaltliche Nähe zur in der Region äußerst populären Befreiungstheologie ausstrahlt, könnte aber mittelfristig zu einer neuen moralischen Autorität des Kontinents aufsteigen. Dazu müsste er allerdings erst einmal eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit bestehen. Argentinische Medien berichteten in den vergangenen Jahren über Vorwürfe, Bergoglio habe sich nicht stark von der Militärdiktatur distanziert und sie teilweise sogar geduldet. Diesen Vorwürfen widersprach er vehement.