Eine Biografie über Paul Watzlawick und ein Gesprächsband von Bernhard Pörksen und Friedemann Schulz von Thun zeigen, wie fruchtbringend der Dialog zwischen Philosophie und Psychologie sein kann.
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Ohne Paul Watzlawick, der 1921 in Villach geboren wurde und 2007 in Palo Alto gestorben ist, wäre die Entwicklung der Humanwissenschaften im letzten halben Jahrhundert vermutlich anders verlaufen. Sein Name ist mit dem Begriff "Konstruktivismus" und dem Wort "Kommunikation" untrennbar verbunden; seine Publikationen haben einen Paradigmenwechsel begleitet und sind zum Theoriefundament vieler Praxisformen geworden, von der systemischen Einzel-, Paar- und Familientherapie, der systemischen Supervision bis hin zur systemischen Organisationsberatung.
Die meisten Konzepte und viele Therapie- und Beratungstechniken, die Watzlawick der Fachwelt vorgestellt und mit seinen Bestsellern populär gemacht hat, waren ursprünglich aber von anderen entwickelt worden. Wie sein Weggefährte Fritz B. Simon anmerkt, bestand Watzlawicks originärer und unverzichtbarer Beitrag darin, "aus den vielen nebeneinanderliegenden rohen Zutaten ein ästhetisch befriedigendes und gut verdaubares Mahl komponiert zu haben". Dem verwirrenden Eigensinn und "losen Denken" von Gregory Bateson etwa setzte Watzlawick "sein strenges, an mathematischer Präzision orientiertes Denken entgegen". Erst Watzlawick, so Simon, hat damit für die Verbreitung der Bateson’schen Ideen gesorgt.
Aussehen wie Filmstar
Paul Watzlawick selbst hätte seine Leistungen vermutlich ähnlich bescheidenen beurteilt. Er hat jedenfalls wiederholt darauf hingewiesen, dass, wenn er und seine Kollegen vom Mental Research Institute in Palo Alto, an dem er fast fünf Jahrzehnte lang tätig war, "wirklich etwas Neues" zur Entwicklung beigetragen haben, dann nur, weil "wir auf der Schulter von Giganten standen".
Aber wie kam er von Kärnten nach Kalifornien? Warum hat er sich dort von der Psychoanalyse gänzlich abgewandt? Und wer waren - außer Gregory Bateson - die Giganten? Diesen Fragen hat sich Andrea Köhler-Ludescher gewidmet, die sich als Großnichte von Paul Watzlawick privilegiertes Wissen über dessen Familie erarbeiten konnte, und die als systemischer Coach in jener Disziplin ausgebildet ist, deren Tradition ihr Großonkel mitbegründet hat.
Letztlich ist es aber Paul Watzlawick, der durch sein in vielerlei Hinsicht aus der Norm herausragendes Leben die Biografie von Köhler-Ludescher interessant und attraktiv macht. Er habe in jungen Jahren ausgesehen wie ein Filmstar, berichtet die Großnichte über den Großonkel, und er sei stets wie ein Gentleman gekleidet gewesen. Tatsächlich kann man sich gut vorstellen, dass Audrey Hepburn mit Paul Watzlwick statt mit Gregory Peck auf der Vespa durch Rom gefahren wäre. In der ewigen Stadt wäre Watzlawick damals, Anfang der 1950er Jahre, jedenfalls gewesen, als er seine in Zürich bei C. G. Jung begonnene Ausbildung zum Psychoanalytiker mit einer Psychoanalyse abschloss.
Allerdings gab es davor eine Zeit, in der Paul Watzlawick sehr bemüht war, nicht gut auszusehen: "Ich will kein Offizier werden". Mit dieser konsequenten Haltung sabotierte er während des Zweiten Weltkriegs jahrelang erfolgreich seine Beförderung in der Wehrmacht - und landete, wegen dieser obstruktiven Einstellung und vieler regimekritischer Äußerungen, schließlich in Untersuchungshaft, aus der er nur mit viel Glück wieder entkam.
Paul Watzlawick sah also nicht nur aus wie ein "movie star", er führte auch - ähnlich wie die anderen aus Österreich stammenden Konstruktivisten, Heinz von Förster und Ernst von Glasersfeld, die ebenfalls keine Stubenhocker waren - ein filmreifes Leben.
Der charakterstarke polyglotte Professor für Psychotherapie, der nach Stationen in Italien, der Schweiz, Deutschland, Indien und San Salvador 1960 schließlich in Kalifornien landete, erinnert oberflächlich sogar an James Bond: Watzlawick war vieler Sprachen kundig, verkehrte in illustren Kreisen, war in internationalen Organisationen tätig, reiste privat und beruflich rund um den Globus und hatte oft attraktive Begleiterinnen an seiner Seite - eine in Indien erworbene "180-seitige Ausgabe" des "Kamasutra" lässt darauf schließen, dass der damals knapp vierzigjährige Junggeselle nicht nur am Pult kein Langeweiler war...
Kein Computer
Allerdings - einer von mehreren Unterschieden zum berühmten englischen Agenten 007 - fuhr Paul Watzlawick keinen Aston Martin, sondern selbst als vermögender Bestsellerautor nur einen bescheidenen VW Polo. Und wenn der stets auf Distanz und Höflichkeit bedachte Psychotherapeut, Philosoph, Publizist, Professor (an der Stanford Universität) und schließlich weltweit gefragte Vortragende nicht gerade einen seriösen Anzug trug - den er auch in der Flower-Power-Dekade nicht gegen Jeans tauschte -, dann steckte er nicht im Smoking, sondern in einer bequemen Strickjacke: Watzlawick verbrachte seine Freizeit lieber in der Natur als in Gesellschaft.
Im Übrigen praktizierte er Yoga, betrieb keinen Sport, heiratete mit 58, ging noch mit 85 wochentags täglich in sein Büro am Mental Research Institute - und hielt sich dort zeitlebens von Computern fern.
Zu den Vorzügen der Biografie von Andrea Köhler-Ludescher zählt, dass sie Paul Watzlawick, begleitet vom Chor unzähliger Stimmen, in allen Altersstufen und vielen Lebenslagen zeigt. Und dass sie ihn nicht nur auf den Schultern porträtiert, auf die er als Wissenschafter stieg, sondern auch auf jenen, die ihn als Mensch scheinbar lebenslang trugen. Es sind nicht zuletzt die bisher unpublizierten Gedichte der Mutter, die dem Bild des in der Ferne berühmt gewordenen Sohnes eine berührende Komponente hinzufügen.
Anzumerken ist allerdings, dass der umfassende Zugang in Kombination mit der linear chronologischen Erzähltechnik vom Leser Geduld verlangt. Auch die gelegentlich eingestreuten, typografisch hervorgehobenen Einschübe, in denen biografische Daten von Menschen eingeblendet werden, die in Watzlawicks Leben eine Rolle spielen, ändern daran nichts.
"Miteinander reden"
Die Lektüre lohnt sich dennoch - und zwar bis zum Ende, bis zum Epilog von Fritz B. Simon, der Watzlawicks Wirken und Wirkung würdigt. Er selbst, schreibt Simon, sei, wie viele seiner Kollegen, als junger Arzt in der Psychiatrie desorientiert und von der Komplexität der Aufgaben überwältigt gewesen - bis er Watzlawicks Bücher las: "Ab diesem Zeitpunkt arbeitete ich anders, das Schwimmen im Ozean konkurrierender Theorien und das Suchen nach Orientierung waren vorbei."
Sehr vielen Menschen Orientierung gegeben hat auch Friedemann Schulz von Thun mit seiner Trilogie "Miteinander reden". Deswegen war der noch immer jugendlich wirkende, aber bereits 2009 emeritierte Professor (an der Universität Hamburg) zunächst etwas skeptisch, als der Tübinger Medienwissenschafter Bernhard Pörksen ihm vorschlug, durch eine Reihe von Interviews seine Sicht auf die Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation nochmals zu erläutern und zu vertiefen. Hatte er nicht bereits alles gesagt?
Zu Schulz von Thuns Überraschung ließ sich Pörksen von einer ersten Absage nicht entmutigen, und die Idee, über das unerschöpfliche Thema "Miteinander reden" miteinander zu reden, fand schließlich doch auch bei ihm Anklang.
Zum Glück für den Leser, kann man nur sagen, denn der Dialog zwischen Pörksen und Schulz von Thun gedeiht von Beginn an prächtig und zeigt zwei Denker, die einerseits erfahren genug sind, um sich bei ihrem Pas de Deux nie auf die Füße zu treten, und andererseits so eifrig bei der Sache, dass sie sich dabei gegenseitig in Höchstform bringen. Und der größte Vorzug ihres erfrischenden Gesprächs ist, dass es durchgängig in einer leicht verständlichen Sprache geführt wird. Wer Friedemann Schulz von Thuns programmatischen Ansatz kennt, den wird das nicht verwundern: "Mir kommt es nicht so sehr darauf an, neues Wissen zu schaffen. Vielmehr gilt es, das, was bereits als Wissen vorhanden ist, für die Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit bedeutsam werden zu lassen."
Den Elfenbeinturm der Universitätspsychologie hat er daher bereits vor Jahren verlassen, und stattdessen erfolgreiche Instrumente zur Verbesserung der zwischenmenschlichen Kommunikation entwickelt: Sein "Kommunikationsquadrat", demnach jede Mitteilung aus Sachinhalt, Selbstkundgabe, Beziehung und Appell besteht, ist heute allgemeiner Schullehrstoff.
Auch im Bereich der intrapsychischen Kommunikation hat Schulz von Thun die Komplexität reduziert: Sein Modell vom "Inneren Team" hat das uralte, von Goethes Faust in die geflügelten Worte "Zwei Seelen wohnen, ach! In meiner Brust" gefasste Dilemma aus dem therapeutischen Kontext herausgelöst und in ein handhabbares Werkzeug zur Persönlichkeitsentwicklung verwandelt.
Teile eines Puzzles
Von verwirrendem Eigensinn oder losem Denken, wie etwa bei Gregory Bateson, kann bei Friedemann Schulz von Thun also keine Rede sein, auch nicht von mangelnder Verbreitung seiner Ideen. Die Rolle, die Bernhard Pörksen in diesem Dialog zufiel, war also weit bescheidener als jene von Paul Watzlawick - dieser jedoch nicht unähnlich: Mit souveränem (Über-)Blick alle Teile eines riesigen Puzzles zu erkennen - und mit großer Beharrlichkeit zu einem stimmigen Bild zusammenzufügen. Und genau das ist ihm überzeugend gelungen.
Im Gespräch mit Pörksen sucht Schulz von Thun nach dem in seinen Modellen liegenden, verborgenen philosophischen Potenzial - und findet es auch. Der Dialog erschöpft sich somit nicht in der Würdigung seines bisherigen Lebenswerks, er betreibt auch dessen Weiterentwicklung. Dabei durchstreifen die beiden Herren ein breites Spektrum an Themen, und treffen dabei fast stets den passenden Ton und die angemessene Mitte - zwischen Freiheit und Zwang in der Pädagogik oder zwischen Fatalismus und Omnipotenzwahn in der Wissenschaft.
Mit erlesenen Früchten aus Psychologie und Philosophie ist das schlanke Buch von Bernhard Pörksen und Friedemann Schulz also prall gefüllt. Und das Beste daran: Man fühlt sich davon nicht belehrt oder belastet, sondern gut unterhalten und wohl informiert. Ebenso wie bei Watzlawick wurde auch hier hervorragend gekocht und serviert.
Andrea Köhler-Ludescher: Paul Watzlawick - die Biografie. Die Entdeckung des gegenwärtigen Augenblicks. Mit einem Nachwort von Fritz B. Simon. Verlag Hans Huber, Bern 2014, 337 Seiten, 29,95 Euro.
Bernhard Pörksen, Friedemann Schulz von Thun: Kommunikation als Lebenskunst - Philosophie und Praxis des Miteinander-Redens. Carl Auer Verlag, Heidelberg 2014, 217 Seiten, 24,95 Euro.