Zum Hauptinhalt springen

Chile hat die Wahl zwischen zwei Extremen

Von Sabine Ertl

Politik

Chile steht vor einem Epochenwechsel. Der Ultrarechte Kast tritt gegen den Linken Boric um das höchste Staatsamt an.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Sie polarisieren. Zu unterschiedlich sind ihre Visionen für die Zukunft des Andenstaates. Dabei wird offensichtlich, wie tief die chilenische Gesellschaft zerklüftet ist und wie sehr sich das Land nach und nach verändert. Die zwei Außenseiterkandidaten von den äußersten politischen Rändern des politischen Spektrums könnten unter dem Motto "Alles ist möglich" in eine ungewisse Zukunft steuern.

Zwar sind am Sonntag gut 15 Millionen Chilenen zur Abstimmung über die Nachfolge des konservativen Staatschefs Sebastián Piñera aufgerufen, doch erwarten sich politische Analysten erneut eine schwache Wahlbeteiligung. Schon bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am 21. November wagten nur rund 50 Prozent den Gang an die Urnen, die Kandidaten Kast und Boric erhielten jeweils rund ein Viertel der Stimmen. Da der Wahlausgang als offen gilt - bei einem hauchdünnen Vorsprung von Boric - kämpfen beide dieser Tage um die letzten Stimmen. Er werde als Präsident niemals die Faust erheben und alle herzlich willkommen heißen, so Kast bei der letzten Konfrontation im chilenischen Fernsehen. Boric entgegnete gelassen, dass er ein Garant für Zuversicht, Frieden und Regierbarkeit sei.

Nach den schweren Unruhen

Doch hat sich im kleinen südamerikanischen Land viel geändert, zumindest seit den Protesten von 2019. Demonstranten hatten die Hauptstadt Santiago und andere Städte lahmgelegt, um gegen soziale Ungleichheiten und überhöhte Kosten im Öffentlichen Dienst zu protestieren. Die Forderung nach tiefgreifender Verbesserung im Wirtschaftssystem und einer Verfassungsreform wurde unüberhörbar. Der scheidende Präsident Sebastián Piñera stand den Aufständen, die von einer breiten Bevölkerungsschicht mitgetragen wurden, ratlos gegenüber. Dennoch konnte er sich an der Macht halten. Diese muss er jedoch bald abgeben, da sein Mandat im März ausläuft. Piñera wird in seiner Rolle als Präsident als tragischer Verwalter wahrgenommen.

Dabei galt das Land mit den etwa 19,3 Millionen Einwohnern als Ruhepol Südamerikas, obwohl nach der Pinochet-Diktatur eine Stabilität kaum gesichert war. Die Chilenen aber gaben nach 17 Jahren unter Pinochet Aussöhnung, Mäßigung und globaler Integration Priorität. Politisch wechselte Chile zwischen Regierungen der Mitte, immer wieder nach rechts oder links driftend. Das Ziel dieser Konstellationen: Wirtschaftswachstum fördern und Armut reduzieren. Chile hat eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen in Lateinamerika, aber auch eine enorme Konzentration an Multimillionären. Die Arbeiterklasse und große Teile der Mittelschicht sind hoch verschuldet, Bildung und private Renten sind fast unbezahlbar.

Kritiker wie Boric vom Linksbündnis Apruebo Dignidad führen dies auf die 1980 unter Pinochet eingeführte Verfassung zurück. Der Konservative Jose Antonio Kast hingegen verteidigt die Militärdiktatur. Ihm zufolge beschreibt die Pinochet-Verfassung "den gesamten Übergang hin zur Demokratie", auch hat er das "wirtschaftliche Erbe" des ehemaligen Diktators Augusto Pinochet gelobt. Der 55-Jährige ist Sohn deutscher Einwanderer und gilt als Vertreter der reichen Oberschicht. In seinem Wahlkampf verspricht er, für Ordnung zu schaffen, gegen die Drogenkriminalität und die Proteste auf den Straßen vorzugehen.

Kast wird mit Trump verglichen

Mittlerweile wird der ehemalige Kongressabgeordnete und Vater von neun Kindern häufig mit dem Brasilianer Bolsonaro und dem ehemaligen US-Präsidenten Trump verglichen. Kast hat die Wählerschaft mit einer harten Haltung zu Themen wie Sicherheit und Migration erschlossen. Der ehemalige Studentenanführer Gabriel Boric, Sohn von katalanischen und kroatischen Eltern, vertritt hingegen eine progressive linke Mittelschicht. Er gehörte zu den Anführern der Studentenproteste gegen die hohen Studiengebühren. Der 35-Jährige wirbt mit der Schaffung eines Wohlfahrtsstaates, in dem jeder die gleichen Rechte hat, unabhängig davon, wie viel Geld er im Portemonnaie hat.

Er will das private Rentensystem abschaffen, die Steuern für die "Superreichen" erhöhen und den Schutz der indigenen Bevölkerung und der Umwelt stärken. Mit seinen Wahlversprechen hat er aber bisher nicht wirklich das Vertrauen der ärmeren Bevölkerung gewinnen können. Historisch wäre Boric jedoch im Fall eines Wahlsieges der "erste linke Staatschef seit Salvador Allende".

Wie auch immer die Wahl ausgeht, das Endergebnis wäre gleichbedeutend für einen Epochenwechsel in der kleinen Andennation.