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China bereitet Machtwechsel vor

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Kuhn

Politik

Im Herbst wird eine neue Führungsriege in Peking antreten.


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Peking.

Es ist ein Geheimtreffen, doch alle Welt weiß davon und malt sich schon die möglichen Resultate aus: Die Spitze der Kommunistischen Partei Chinas trifft sich im Badeort Beidaihe zu einer mehrwöchigen Geheimtagung. Es geht um die Weichenstellung und grundlegende Personalentscheidungen vor dem Führungswechsel im Herbst.

Beidaihe ist als "Sommerhauptstadt" in China bekannt. Der 70.000-Seelenort am Golf von Bohai zieht jedoch nicht nur erholungssuchende Sommerurlauber an, sondern seit letztem Freitag auch wieder die chinesische Führungsriege. Die hat sich dort in den letzten Jahren rar gemacht. Zwar fanden sommerliche Klausuren im zirka 100 Kilometer östlich von Peking gelegenen Badeort seit jeher regelmäßig statt. Doch Präsident Hu Jintao hat die Tradition ab 2003 weitgehend aufgegeben - man wollte den Eindruck sommerlicher Palasttreffen vermeiden.

Heuer jedoch ist wieder alles anders. Hu ist laut Medienberichten am Freitag in Beidaihe eingetroffen, und mit ihm die Spitze der chinesischen Führungsriege. Ihnen stehen heiße Wochen bevor, denn in Beidaihe entscheidet sich die politische Zukunft der nächsten Dekade.

Hintergrund ist der für Herbst geplante Generations- und Machtwechsel - ein Vorgang, der nur alle zehn Jahre stattfindet und schon allein dadurch eine politisch heikle Zeit markiert. Die Machtübergabe ist grundsätzlich ein ziemlich berechenbarer Vorgang: Mit Vizepräsident Xi Jinping steht der nächste chinesische Staatspräsident bereits seit mehr als zwei Jahren fest. Laut Medienberichten ist er am Sonntag in Beidaihe eingetroffen, ebenso wie der derzeitige Vizepremier Li Keqiang. Er wird aller Voraussicht nach Ministerpräsident Wen Jiabao nachfolgen.

Während diese Personalentscheidungen weitgehend unumstritten sind, wird hinter den Kulissen um Einfluss und Machtverteilung gerungen. Die Veränderungen an der Spitze finden in einer Zeit statt, in der das wirtschaftliche und politische Modell Chinas am Scheideweg steht und in der verschiedene Strömungen um die Vorherrschaft kämpfen. Kein anderes Ereignis hat dies deutlicher zum Vorschein gebracht als der Bo-Xilai-Skandal. Der Mann, der einst als Hoffnungsträger des linken Flügels der KP galt, ist seit März von der Bildfläche verschwunden. Der ehemalige Chef der Kommunistischen Partei in Chongqing und prominente Vertreter der linkspopulistischen Strömung mit einem Faible für maoistische Folklore war zuvor noch für einen Führungsposten gehandelt worden. Doch dann kritisierte ihn der als liberal geltende Premier Wen verblüffend offen, und nur einen Tag später wurde Bo gefeuert.

Bos Frau wegen wird wohl nicht hingerichtet

Er steht unter Korruptionsverdacht, seine Frau Gu Kailai muss sich ab der kommenden Woche wegen der Ermordung eines britischen Geschäftsmannes vor Gericht verantworten. Auch im Falle ihrer - fast sicheren - Verurteilung würde sie aber wohl nicht exekutiert werden.

Bos dramatischer Fall platzte wie eine Bombe in die Zeit vor dem Machtwechsel, in der die Führung eigentlich Geschlossenheit demonstrieren wollte. Offiziell will von einem Machtkampf hinter den Kulissen niemand etwas wissen. Tatsächlich wurden die Karten nach Bos Sturz auffallend rasch neu gemischt, die Schockwellen scheinen weniger heftig zu verlaufen als zunächst angenommen.

Fokus auf Ständigen Ausschuss des Politbüros

In den kommenden Wochen wird sich die Zusammensetzung des Politbüros der regierenden Kommunisten herauskristallisieren. Derzeit gehören dem Ständigen Ausschuss des Politbüros, dem eigentlichen Spitzengremium, neun Politiker an. Dieser Zirkel gilt als das einflussreichste Machtzentrum der Welt neben dem Weißen Haus. Laut Informationen der "Financial Times" soll er auf sieben Personen verkleinert werden. Nach Angaben von Duowei News, einer gut informierten Nachrichtenseite von Übersee-Chinesen, werden alle derzeitigen Mitglieder bis auf Xi Jinping und Li Keqiang ausgetauscht. Als mehr oder weniger bestätigte neue Mitglieder gelten Zhang Dejiang, Bos Nachfolger als Parteichef von Chongqing, der Leiter der Organisationsabteilung Li Yuanchao, Vizepremier Wang Qishan und der Stadtparteichef von Shanghai, Yu Zhengsheng. Hoffnungen machen dürfen sich weiters der Leiter der Propagandaabteilung Liu Yunshan, der Parteichef von Tianjin Zhang Gaoli und der Parteichef von Guangdong, Wang Yang.

Nachgelagert werden noch tausende Posten mit Personen neu besetzt, die das Vertrauen der kommenden Führung genießen oder denen diese etwas schuldet. Orchestriert wird das große Sesselrücken von Xi und Hu. Bei all diesen Entscheidungen hat jedoch auch ein Mann ein gewichtiges Wort mitzureden, der im August des letzten Jahres bereits für tot erklärt wurde: der immer noch einflussreiche ehemalige Staatspräsident Jiang Zemin.

Bis zum Parteitag im Herbst müssen alle personellen und inhaltlichen Entscheidungen getroffen sein, denn auf die neue Führung warten gewaltige Aufgaben: Das wirtschaftliche Wachstum stockt, das soziale Ungleichgewicht wird immer größer und der Aufbau der Sozialversicherungen tritt auf der Stelle. Es stehen also heiße Sommerwochen in Beidaihe an. Erholsam werden sie nicht.