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Viele Chinesen stehen den Zensusbeamten skeptisch gegenüber. | Erfassung der Millionen Wanderarbeiter gilt als die größte Herausforderung. | Peking/Wien. Die Farbe der Partei und der Revolution ist in China noch immer schwerlich zu übersehen. Neben der roten Nationalflagge sind die ebenfalls in Rot gehaltenen Propagandaplakate allgegenwärtig und lassen keinen Zweifel über die Machtverhältnisse im Reich der Mitte aufkommen. Seit einigen Wochen mischen sich aber immer mehr grüne Farbkleckse in den öffentlichen Raum. Diese stammen zwar auch von der Regierung, auf den Plakaten und Transparenten wird aber tunlichst jeder Anschein des Offiziösen vermieden. Stattdessen wird freundlich um Mithilfe und Unterstützung bei der am 1. November beginnenden Volkszählung gebeten.
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Dass Chinas sonst so selbstbewusste Regierung einen derart konzilianten Ton anschlägt, kommt freilich nicht von ungefähr. Die erste Zählung der schätzungsweise 1,3 Milliarden Chinesen seit 2000 ist eine Mammutaufgabe, die ohne die aktive Mithilfe der Bevölkerung wohl nicht zu bewältigen ist. Und viele Chinesen scheinen nicht unbedingt willens, einem der insgesamt sechs Millionen Volkszähler die Tür zu öffnen. Besorgt sind viele vor allem um den Schutz ihrer Privatsphäre. Obwohl die Volkszähler zur Diskretion verpflichtet seien, hätten die Bürger Angst, dass ihre Informationen gegen sie verwendet werden könnten, sagt der stellvertretende Direktor der Zensus-Koordinierungsgruppe, Feng Nailing. Laut eine Umfrage der Nachrichten-Website sina.com fühlt sich ein Drittel der Befragten bei dem Gedanken unwohl, einen Volkszähler in die Wohnung zu lassen. Hinzu kommt, dass vor allem die aufstrebende Mittelklasse ihren neu gewonnenen Wohlstand lieber verbirgt. "Viele dieser Menschen haben das Gefühl, dass diese Volkszählung eher eine Überprüfung ihres Besitzes ist", sagt Zhang Yi von der Akademie für Sozialwissenschaften gegenüber "China Daily".
Viele "versteckte" Kinder
Zurückhaltend dürften aber auch Familien mit sogenannten "versteckten Kindern" reagieren. Denn wer gegen die strikte Ein-Kind-Politik verstößt, die China seit Jahrzehnten verfolgt, dem drohen hohe Geldstrafen. Doch hier gibt es bereits Strategien gegen die Auskunftsverweigerung. Paare, die ihre weiteren Kinder bei der Volkszählung registrieren lassen, müssen nur mit einer reduzierten Strafe rechnen. Auch wenn es naturgemäß nur Schätzungen über die "versteckten Kinder" gibt, dürfte ihre Zahl jedenfalls beträchtlich sein. "1990 verzeichnete die Volkszählung 23 Millionen Geburten, bei der Volkszählung 2000 gab es aber 26 Millionen 10-jährige Kinder", sagt der Bevölkerungswissenschafter Liang Zhongtang zur "Global Times".
Das größte Problem dürfte den Volkszählern aber die Erfassung des riesigen Heers von Wanderarbeiter bereiten. Jene schätzungsweise 300 Millionen Menschen, die das neue Gesicht des urbanen Chinas darstellen, errichten zwar die Wolkenkratzer und bedienen in den Innenstadt-Restaurants, werden aber in den Statistiken derzeit noch immer so geführt, als ob sie am elterlich Hof Reis pflanzen. So kam die Volkszählung 2000 zu dem Ergebnis, dass 800 Millionen Chinesen (rund 64 Prozent der Bevölkerung) noch immer auf dem Land leben, obwohl der stete Zustrom in die Städte zu diesem Zeitpunkt schon seit zumindest einem Jahrzehnt bestanden hat. Bei der kommenden Volkszählung sollen die Wanderarbeiter aber nun erstmals dort gezählt werden, wo sie leben, und nicht dort, wo sie registriert sind. Dies werde der Regierung ermöglichen, die laufende Urbanisierung nachzuvollziehen, sagt Feng.
Doch auch für die Wanderarbeiter könnte das Vorteile bringen. Denn durch ihren bisherigen Meldestatus unterlagen sie teils massiven Einschränkungen beim Zugang zu staatlichen Leistungen wie Gesundheitsversorgung und Bildung. Das Ergebnis der Volkszählung, dass die Regierung zur Grundlage der künftigen Wirtschafts- und Sozialpolitik machen will, wird allerdings erst im kommenden Jahr erwartet. Einige demografische Kategorien werden aber selbst dann noch ein Mysterium bleiben. Die mit der Zählung beauftragten Wissenschafter haben nämlich die ursprüngliche Idee, auch Fragen nach der vorwiegend gesprochenen Sprache oder der Religion zu stellen, wieder verworfen. "Religion ist ein sehr sensibler Bereich", sagt Feng. "Wir waren besorgt, dass solche Fragen die Bereitschaft zur Mitarbeit untergraben hätten."